Sinuhe der Ägypter
kam, denn dann wäre ich vergebens gekommen. Jetzt sehe ich ohne nähere Untersuchung, daß deine Geschwulst reif zum Aufstechen ist. Wenn du willst, werde ich sie öffnen. Vor Schmerzen aber können die Götter nicht einmal einen König bewahren. Doch versichere ich dir: Deine Erleichterung wird so groß sein, daß du dich nachträglich der Schmerzen überhaupt nicht mehr entsinnst, und ich versichere dir ebenfalls, daß ich dich so geschickt und schmerzlos behandeln werde, wie es nur menschenmöglich ist.«
Der König, die Wange an die Hand gelehnt, zögerte eine Weile und betrachtete mich mit zusammengezogenen Brauen. In gesunden Tagen war er sicher ein schöner, wenn auch sehr selbstbewußter Jüngling, und ich fand Gefallen an ihm. Er fühlte meinen Blick und meinte schließlich ärgerlich: »Tu das Unerläßliche, aber tu es rasch!«
Der alte Mann begann zu jammern und die Stirn gegen den Boden zu schlagen, ich aber beachtete ihn nicht, sondern befahl, Wein zu wärmen, in den ich ein Betäubungsmittel mischte. Dann ließ ich den König trinken. Er wurde nach einer Weile heiter und erklärte: »Die Schmerzen lassen nach, und du brauchst mir nicht mit deinen Zangen und Messern zu nahen!«
Doch mein Wille war stärker als der seinige. Ich veranlaßte ihn, den Mund zu öffnen, und hielt sein Haupt in meiner Achselhöhle fest und stach die Geschwulst in seinem Kiefer mit einem Messer auf, das ich in dem von Kaptah mitgebrachten Feuer ausgeglüht hatte. Allerdings stammte es nicht von Ammons heiligem Feuer, denn dieses hatte Kaptah in seinem Schlendrian während der Flußfahrt ausgehen lassen; aber das neue Feuer war von Kaptah in meinem Zimmer in der Herberge mit einem Feuerbohrer angefacht worden, und in seiner Einfalt hielt er den Skarabäus für ebenso mächtig wie Ammon.
Der König stöhnte laut, als ihn das Messer berührte, und der Löwe erhob sich brüllend, seine Augen glühten, und er begann mit dem Schweif zu schlagen. Der König hatte jedoch genug damit zu tun, den Eiter, der aus dem Geschwür rann, auszuspeien. Dies erleichterte ihn, und ich war ihm behilflich, indem ich sanft auf seine Wange drückte. Er spuckte und weinte vor Freude und spuckte wieder und sagte: »Sinuhe, Ägypter! Du bist ein gesegneter Mann, obwohl du mir Schmerz bereitet hast.«
Der alte Mann aber sprach: »Ich hätte es ebensogut, ja besser als er ausführen können, wenn du mir bloß gestattet hättest, deinen heiligen Kiefer zu berühren. Am besten aber hätte dein Zahnarzt es gemacht.« Zu seinem großen Erstaunen bestätigte ich seine Worte, indem ich sagte: »Der alte Mann spricht die Wahrheit. Er hätte es ebensogut wie ich gemacht, und am besten hätte es dein Zahnarzt besorgt. Aber ihr Wille war nicht so stark wie der meinige. Deshalb vermochten sie dich nicht von deiner Qual zu befreien. Ein Arzt muß wagen, ohne für sich selbst zu fürchten, sogar einem König unvermeidliche Schmerzen zuzufügen. Dieser hier fürchtet sich, ich aber fürchte mich nicht; denn alles ist mir gleichgültig, und wenn es dir beliebt, kannst du durch deine Soldaten mir die Leber durchbohren lassen, nachdem ich dich geheilt habe.«
Der König spuckte und drückte die Hand auf die Wange und spuckte nochmals. Aber die Wange schmerzte nicht mehr, und er sagte: »Noch nie habe ich jemand so wie dich reden hören, Sinuhe. Falls du die Wahrheit sprichst, lohnt es sich wahrlich nicht, daß ich meine Soldaten dir die Leber durchbohren lasse; wenn es dir nichts ausmacht, hat dies ohnehin keinen Zweck. Aber du hast mir wahrhaftig eine große Erleichterung verschafft, und deshalb verzeihe ich dir deine Frechheit. Auch deinem Diener verzeihe ich, daß er mich mit dem Kopf in deiner Achselhöhle gesehen und schreien gehört hat. Ich verzeihe es ihm deshalb, weil er mich nach langer Zeit durch seinen tollen Luftsprung wieder einmal zum Lachen brachte.« An Kaptah gewandt, fügte er hinzu: »Wiederhole den Sprung!« Kaptah aber erwiderte ärgerlich: »Es wäre unter meiner Würde.«
Burnaburiasch lächelte und meinte: »Wir werden ja sehen!« Er rief den Löwen, und dieser hob und streckte seinen Leib, so daß es in den Gliedern knackte, und betrachtete seinen Herrn mit klugen Augen. Der König wies auf Kaptah, und der Löwe begann mit peitschendem Schweif gelassen auf diesen zuzuschreiten. Kaptah zog sich, den Blick starr auf das Raubtier geheftet, zurück. Da öffnete der Löwe den Rachen und ließ ein dumpfes Gebrüll vernehmen. Blitzschnell wandte
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