Sinuhe der Ägypter
hast, falls dir der König in seiner Großmut gestempeltes Gold und Silber schenkt!«
Da sagte ich zu ihm: »Deine Leber geht mich nichts an, und du tätest wahrlich besser daran, mit meinem Diener zu reden; denn dessen Aufgabe ist es, Schmarotzer und Erpresser von mir fernzuhalten. Da du aber ein alter Mann bist und es nicht besser weißt, will ich dein Freund sein. Deshalb schenke ich dir diese Goldreifen von meinem Arm, um dir zu zeigen, daß Gold und Silber für mich nicht mehr als der Staub unter meinen Sohlen bedeuten und daß ich nicht hergekommen bin, um Gold, sondern um Wissen zu erwerben.«
Ich reichte ihm die Goldreifen von meinen Handgelenken, und er war so erstaunt, daß er nichts mehr zu sagen wußte. Daher gestattete er auch Kaptah, mir zu folgen, und führte mich zum König. Der König Burnaburiasch saß auf weichen Kissen in einem luftigen Raum, dessen Wände von farbenfrohen Glasurziegeln glühten. Er war nur ein verwöhnter Knabe, der, die Wange in die Hand gestützt, dasaß. Neben ihm lag ein Löwe, der bei unserem Eintritt ein dumpfes Knurren hören ließ. Der alte Mann warf sich vor dem König zu Boden, und Kaptah folgte seinem Beispiel. Aber beim Knurren des Löwen sprang er mit einem Schreckensruf wie ein Frosch mit allen vieren auf, so daß der König in schallendes Gelächter ausbrach und sich in die Kissen zurückwarf. Kaptah jedoch sprach zornig: »Führt dieses teuflische Raubtier hinaus, bevor es mich beißt. Ein fürchterlicheres Ungeheuer habe ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen, und sein Knurren gleicht dem Dröhnen der Streitwagen auf dem Marktplatz zu Theben, wenn die Leibwache, vom Festtag berauscht, zu einer Übung fährt.« Er hob abwehrend die Hände, und auch der Löwe richtete sich auf und gähnte langgezogen; und als er das Maul schloß, schlugen seine Zähne so laut zusammen, wie der Schrein des Tempels über dem Almosen einer Witwe zuklappt.
Der König lachte, daß ihm die Tränen aus den Augen rannen. Dann aber besann er sich wieder seiner Schmerzen und führte die Hand an die Wange, die so geschwollen war, daß das Auge zur Hälfte verschwand. Er zog die Brauen zusammen, und der alte Mann beeilte sich zu sagen: »Hier steht der eigensinnige Ägypter, der deinem Befehl, zu kommen, nicht Gehorsam leistete. Es bedarf nur eines Wortes, und ich lasse die Soldaten mit ihren Speeren seine Leber durchbohren.«
Aber der König versetzte ihm einen Fußtritt und sprach: »Jetzt ist nicht der Augenblick für dummes Geschwätz. Der Mann da soll mich rasch heilen. Meine Schmerzen sind unausstehlich, und ich fürchte, sterben zu müssen; denn schon viele Nächte habe ich nicht schlafen und schon lange nichts anderes als heiße Brühe zu mir nehmen können.«
Da jammerte der Alte, schlug die Stirne gegen den Boden und sagte: »O Herrscher über die vier Erdteile, wir haben alles getan, um dich zu heilen. Wir haben Zähne und Kiefer in den Tempeln geopfert, haben die Trommeln geschlagen und in die Hörner gestoßen und in roten Gewändern vor dir getanzt, um den bösen Geist zu vertreiben, der sich in deinem Kiefer eingenistet hat. Mehr konnten wir nicht ausrichten, da du uns nicht gestattest, deinen heiligen Kiefer anzurühren. Ich glaube auch nicht, daß dieser unreine Fremdling es besser machen kann als wir.«
Ich aber sagte: »Ich bin Sinuhe, der Ägypter, der einsam ist, der Sohn des Wildesels, und ich brauche dich wahrlich nicht zu untersuchen, um festzustellen, daß die Geschwulst in deiner Wange durch einen Backenzahn verursacht wird, den du nicht beizeiten reinigen oder ausziehen ließest, wie es dir deine Ärzte sicher längst geraten haben. Solch ein Leiden paßt für Kinder und Feiglinge, nicht aber für den Herrscher über vier Erdteile, vor dem die Völker zittern und sogar der Löwe sein Haupt verneigt, wie ich mit eigenen Augen sehe. Aber ich weiß, daß du große Schmerzen hast, und deshalb will ich dir gerne helfen.«
Der König hielt die Hand an die Wange und sprach: »Deine Rede ist dreist. Wäre ich gesund, würde ich dir sicherlich deine freche Zunge aus dem Mund reißen und die Leber durchbohren lassen; aber dazu ist jetzt nicht die Zeit. Heile mich rasch, und du sollst reich belohnt werden! Doch wenn du mir Schmerzen verursachst, lasse ich dich unverzüglich töten.«
Ich sprach zu ihm: »Dein Wille soll geschehen! Ich habe einen kleinen, aber außerordentlich mächtigen Gott zum Beschützer; sein Verdienst ist es, daß ich nicht schon gestern zu dir
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