Sinuhe der Ägypter
nicht lehren würde, wenn du nicht ein König wärest.«
In diesem Augenblick rief Kaptah mit klagender Stimme von seinem hohen Sitz über der Tür: »Bringt doch endlich dieses teuflische Ungeheuer weg, oder ich klettere hinunter und bringe es um! Die Hände sind mir eingeschlafen, und der Hintern schmerzt mich von diesem unbequemen Hocken, das sich nicht für meine Würde schickt. Wahrhaftig, ich klettere hinunter und töte das Vieh, wenn es nicht sofort verschwindet!«
Burnaburiasch lachte bei dieser Drohung noch schallender als zuvor, dann aber sagte er mit gespieltem Ernst: »Es wäre wirklich schade, wenn du meinen Löwen tötetest; denn er ist unter meinen Augen aufgewachsen und mir ein treuer Freund geworden. Ich will ihn wegrufen, damit du keine Schandtat in meinem Palast verübst.« Er lockte den Löwen zu sich, und Kaptah kletterte am Vorhang hinab und rieb sich die steifen Beine und betrachtete das Tier so zornig, daß sich der König vor Lachen auf die Knie schlug und sagte: »Ich habe wahrlich noch nie einen komischeren Kauz gesehen. Verkauf ihn mir, Sinuhe, und ich mache dich zu einem reichen Mann.«
Ich wollte Kaptah aber nicht verkaufen, und der König beharrte nicht darauf, so daß wir uns in Freundschaft trennten, weil der Schlaf seinen Tribut verlangte. Denn er hatte seiner Schmerzen wegen schon viele Nächte nicht mehr geschlafen. Der alte Leibarzt begleitete mich hinaus und sagte: »Aus deinem Auftreten und deinen Worten ersehe ich, daß du kein Schwindler, sondern ein geschickter, in deinem Beruf erfahrener Mann bist. Doch staune ich über die Kühnheit, mit der du den Herrscher über die vier Erdteile ansprichst. Wenn einer seiner eigenen Ärzte sich erdreistete, ihn in dieser Weise anzureden, würde er schon längst in einem Lehmkrug im Kreise seiner Vorfahren ruhen.«
Ich sagte: »Wir tun am besten daran, uns über alles, was in zwei Wochen zu geschehen hat, ausführlich zu beraten und auch den passenden Göttern vorher Opfer darzubringen. Es wird ein böser Tag werden!«
Meine Rede gefiel ihm sehr; denn er war ein frommer Mann, und wir vereinbarten eine Zusammenkunft im Tempel zu Opferzwecken und zu einer Besprechung mit den anderen Ärzten. Bevor wir den Palast verließen, ließ der Alte die Träger, die mich hergebracht hatten, noch verpflegen, und sie aßen und tranken im Vorhof und priesen mich in allen Tönen. Auf dem Rückweg zur Herberge sangen sie mit lauter Stimme. Menschenmassen folgten mir, und von diesem Tag an war mein Name berühmt in Babylon. Aber Kaptah, der auf dem weißen Esel ritt, war äußerst mürrisch und redete nicht mit mir. Denn er war in seiner Würde schwer verletzt worden.
3
Zwei Wochen später traf ich die Ärzte des Königs im Mardukturm; wir opferten gemeinsam ein Schaf und ließen die Priester seine Leber untersuchen und uns weissagen; denn in Babylon prophezeiten die Priester aus der Leber der Opfertiere und vermochten daraus vieles herauszulesen, was anderen unerklärlich blieb. Sie sagten, daß der König uns sehr zürnen, daß aber niemand das Leben verlieren oder dauernden Schaden nehmen würde. Doch sollten wir uns während der Behandlung des Königs vor Krallen und Speeren in acht nehmen. Alsdann ließen wir die Sterndeuter im Buch des Himmels nachschlagen, ob der Tag für unsere Zwecke günstig sei. Sie erklärten ihn für günstig, obgleich wir einen noch günstigeren hätten wählen können. Schließlich ließen wir die Priester Öl in Wasser gießen, um daraus die Zukunft vorauszusagen. Doch nachdem die Priester das Öl beobachtet hatten, behaupteten sie, nichts Besonderes, auf jeden Fall kein schlechtes Zeichen darin zu erkennen. Beim Verlassen des Tempels sahen wir einen Geier über uns hinwegfliegen, der ein von der Mauer geraubtes Menschenhaupt in den Krallen hielt; das deuteten die Priester als ein günstiges Vorzeichen für unsere Absichten, obwohl es mir als das Gegenteil erschien.
In Übereinstimmung mit dem Rat anläßlich der Untersuchung der Schafsleber schickten wir an dem Tag der Behandlung des Königs dessen Leibwache fort und gestatteten auch seinem Löwen nicht, ihm zu folgen, weil der König ihn in seinem Zorn auf uns hetzen könnte, was laut Aussage der Ärzte bereits vorgekommen war. König Burnaburiasch, welcher Wein getrunken hatte, um, wie man in Babylon sagte, seine Leber zu erquicken, kam mutigen Schrittes herein. Doch beim Anblick des wohlbekannten Stuhles, den der Zahnarzt in den Palast gebracht hatte,
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