Sinuhe der Ägypter
wenn ich wollte, darf ich keinem Mann nahekommen. Ich bin dem Gott geweiht, um vor ihm zu tanzen. Deshalb behalte ich das Messer, und eher soll es mein Blut trinken, als daß ich einem Mann gestatte, mich zu berühren. Am allerwenigsten aber darf mich jener einäugige Teufel berühren, der in seiner Gier mehr an einen aufgeschwollenen Ledersack als an einen Menschen erinnert.«
»Du also hast den König geschlagen?« fragte ich. Sie erwiderte: »Ich schlug ihn mit der Faust ins Auge, und mein Pantoffel brachte den Blutquell seiner Nase zum Springen. Und ich freue mich sehr darüber, mag er nun ein König sein oder nicht. Denn nicht einmal ein König darf mich gegen meinen Willen berühren. Mein Gott verbietet mir jede Berührung, weil ich zu seiner Tänzerin erzogen bin.«
»Tanzen magst du, soviel du willst, du tolles Mädchen«, sprach ich. »Das geht mich nichts an; aber das Messer sollst du weglegen. Du könntest dir selbst damit Schaden zufügen, und das wäre bedauerlich, denn die Eunuchen behaupten, der König habe für dich einen Haufen Gold auf dem Sklavenmarkt bezahlt.«
Sie entgegnete: »Ich bin keine Sklavin. Man hat mich hinterlistig geraubt, was du mir wohl ansehen könntest, wenn du Augen im Kopf hättest. Aber sprichst du denn keine vernünftige Sprache, die man hier nicht versteht? Ach, ich sehe die Eunuchen mit gespitzten Ohren zwischen den Säulen umherschleichen, um uns zu belauschen.«
»Ich bin ein Ägypter«, sagte ich in der Sprache meines Vaters, »und mein Name ist Sinuhe, er, der einsam ist, der Sohn des Wildesels. Von Beruf bin ich Arzt, und darum brauchst du dich nicht vor mir zu fürchten.« Da sprang sie ins Wasser und schwamm, das Messer in der Hand, plätschernd an mich heran, warf sich vor mir zu Boden und sagte: »Ich weiß, daß die ägyptischen Männer schwach sind und keiner Frau gegen ihren Willen etwas antun. Deshalb vertraue ich dir und hoffe, du verzeihst, daß ich das Messer nicht aus der Hand gebe, weil ich voraussichtlich heute noch damit meine Adern öffnen muß, damit mein Gott nicht in mir geschändet werde. Wenn du aber die Götter fürchtest und mir gut gesinnt bist, so rettest du mich und führst mich aus diesem Lande, obgleich ich dich für diese Tat nicht nach Verdienst belohnen kann, weil ich mich tatsächlich keinem Mann nähern darf.«
»Ich spüre nicht die geringste Lust, dich zu berühren«, versicherte ich. »In dieser Hinsicht kannst du beruhigt sein. Aber groß ist wahrhaftig deine Torheit, wenn du aus dem königlichen Frauenhaus hinausstrebst, wo du Speise und Trank und Kleider und Schmuck und alles, was dein Herz begehrt, in Hülle und Fülle haben kannst.«
»Ein Mann spricht von Speise und Trank, von Kleidern und Schmuck, weil er es nicht besser versteht«, meinte sie und blickte mich durchdringend aus ihren grünen Augen an. »Eine Frau aber kann sich auch nach anderen Dingen sehnen, die ein Mann nicht begreift. Deine Behauptung, daß du kein Verlangen nach mir spürst, ist für mich unverständlich und eine große Beleidigung. Ich bin gewohnt, daß alle Männer nach mir Verlangen spüren, ich sehe es ihren Gesichtern an und höre es aus ihren Atemzügen, wenn sie meinem Tanz folgen. Am deutlichsten aber merkte ich es auf dem Sklavenmarkt, als die Männer meine Nacktheit anstarrten und meine Jungfernschaft durch ihre Eunuchen feststellen ließen. Aber darüber können wir uns, wenn du willst, später unterhalten; vor allem mußt du mich von hier wegbringen und mir zur Flucht aus Babylon verhelfen.«
Ihre Keckheit war so groß, daß ich anfänglich nichts zu erwidern wußte; aber schließlich fuhr ich sie an: »Ich habe keineswegs die Absicht, dir zur Flucht zu verhelfen. Das wäre ein Verbrechen gegen meinen Freund, den König, der einen Haufen Gold für dich bezahlt hat. Auch kann ich dich belehren, daß der aufgeschwollene Ledersack, der hier war, ein falscher König ist, der bloß einen Tag herrscht, während der richtige König dich morgen besuchen wird. Er ist noch ein bartloser Jüngling von ansprechendem Aussehen, der sich viel Freude von dir verspricht, wenn er dich erst glücklich gezähmt hat. Auch glaube ich nicht, daß die Macht deines Gottes sich bis hierher erstreckt, weshalb du nichts verlierst, wenn du dich ins Unabänderliche fügst. Du tust am besten daran, mit deinen Verrücktheiten aufzuhören, das Messer fallen zu lassen und dich für ihn anzukleiden und zu schmücken; denn du siehst wahrhaftig nicht schön aus mit dem
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