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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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Werkstätten, aus denen unablässig der Klang der Schmiedehämmer auf die Straße dringt, denn dort werden die Spitzen der Speere und Pfeile sowie die Räder und Gestelle der Streitwagen angefertigt.
    Ihre Rechtspflege unterscheidet sich ebenfalls von derjenigen aller anderen Völker. Ihre Strafen sind seltsam und eigenartig. Zettelt ein Fürst gegen den König eine Verschwörung an und erstrebt er selbst die Königswürde, so wird er dafür nicht umgebracht, sondern in ein Grenzland versetzt, um dort seine Tüchtigkeit zu beweisen und sein Ansehen wiederherzustellen. Es gibt überhaupt nicht viele Verbrechen, die nicht durch Gaben gesühnt werden können. Ein Mann kann einen anderen töten, ohne dafür Körperstrafe zu erleiden; er muß nur den hinterbliebenen Angehörigen des Toten durch Geschenke ihren Verlust ersetzen. Auch Ehebruch ist nicht strafbar. Wenn eine Frau einen Mann findet, der ihr Verlangen besser befriedigt als ihr Gatte, so besitzt sie das Recht, ihr Heim zu verlassen und zu dem anderen überzusiedeln, der jedoch eine Entschädigung für sie bezahlen muß. Kinderlose Ehen werden öffentlich aufgelöst; denn der Krieg fordert von seinen Untertanen zahlreiche Kinder. Wenn ein Mann einen anderen an einem verlassenen Ort totschlägt, braucht er nicht so viel zu zahlen, wie wenn der Totschlag in der Stadt vor Zuschauern stattgefunden hätte; denn man ist der Ansicht, daß ein Mann, der allein einen einsamen Ort aufsucht, andere absichtlich in Versuchung führt, ihn umzubringen, um sich in der Kunst des Tötens zu üben. Nur zwei Dinge gibt es, die zu einem Todesurteil führen, und diese liefern den deutlichsten Beweis für die Unvernunft der Hetiter in Rechtsangelegenheiten. Bei Todesstrafe ist nämlich die Ehe zwischen Geschwistern verboten, und niemand darf ohne Erlaubnis Zauberei ausüben. Die Zauberer müssen erst ihre Fähigkeit durch die Behörde prüfen lassen und von diesen die schriftliche Befugnis zur Ausübung ihres Berufes erlangen.
    Bei meiner Ankunft im Land der Hetiter hatte ihr großer König Schubbiluliuma bereits achtundzwanzig Jahre lang geherrscht und war so gefürchtet, daß die Menschen, sobald sie seinen Namen hörten, sich verneigten, die Hände in die Höhe streckten und laut sein Lob verkündeten; denn er hatte Ordnung im Lande Chatti eingeführt und zahlreiche Völker der Macht der Hetiter unterworfen. Er bewohnte einen Steinpalast mitten in der Stadt, viele Sagen berichteten von seiner Geburt und seinen Heldentaten im Krieg, wie dies bei allen großen Königen der Fall ist. Ihn selbst aber bekam ich nicht zu Gesicht, und nicht einmal die Gesandten Mitanis wurden vorgelassen, sondern mußten die mitgebrachten Geschenke unter dem Gelächter und Spott der königlichen Soldaten im Empfangstempel auf den Boden legen.
    Anfangs machte es nicht den Anschein, als gäbe es für einen Arzt in Chattuschasch viel zu tun. Soviel ich sehen konnte, schämten sich die Hetiter jeder Krankheit und suchten diese so lange wie möglich zu verbergen; schwache und mißgestaltete Kinder wurden sofort bei der Geburt getötet und kranke Sklaven umgebracht. Deshalb besaßen ihre Ärzte auch keine großen Kenntnisse, sondern waren ungebildete Leute, die nicht einmal lesen konnten; hingegen waren sie geschickt im Behandeln von Wunden und Quetschungen, und auch gegen die Krankheiten des Berglandes besaßen sie wirkungsvolle Mittel, welche die Körperhitze rasch verminderten. In dieser Hinsicht konnte ich von ihnen lernen. Wenn aber einer von einer tödlichen Krankheit befallen wurde, suchte er lieber den Tod als Heilung, weil er befürchtete, für den Rest des Lebens schwach oder gebrechlich zu bleiben. Die Hetiter fürchteten sich nämlich nicht wie die zivilisierten Völker vor dem Tod, sondern fürchteten mehr als ihn körperliche Schwäche.
    Schließlich aber sehen sich alle Großstädte ähnlich und bleiben sich auch die reichen und vornehmen Leute aller Länder gleich. Nachdem mein Ruf bekanntgeworden, kam daher eine ganze Menge Hetiter in die Herberge, um bei mir Heilung zu suchen. Ich kannte ihre Krankheiten und heilte sie im geheimen oder im Schutz der Finsternis, um ihr Ansehen zu wahren. Deshalb waren sie auch mit ihren Geschenken freigebig, so daß ich allmählich eine Menge Gold und Silber verdiente, obgleich ich anfangs geglaubt hatte, die Stadt als Bettler verlassen zu müssen. Dies war zum großen Teil Kaptahs Verdienst. Denn seiner Gewohnheit gemäß vertrieb er sich die Zeit in den

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