Sinuhe der Ägypter
Bierstuben und Basaren und überall, wo viele Menschen versammelt waren, und prahlte laut in allen Sprachen, die er kannte, mit meinem Ruf und meiner Kunst, bis die Diener wiederum ihren Herrn über mich berichteten.
Die Sitten des Landes waren streng. Ein vornehmer Hetiter konnte sich nicht betrunken auf der Straße zeigen, ohne sein Ansehen zu verlieren. Aber wie in allen Großstädten, so tranken auch hier die Vornehmen und Reichen beträchtliche Mengen Wein, darunter auch gefährlich gemischte Sorten, und ich heilte die dadurch verursachten Leiden, sorgte dafür, daß ihre Hände nicht zitterten, wenn sie vor den König traten, und einigen trieb ich durch Bäder und Beruhigungsmittel die Mäuse, die angeblich an ihnen nagten, aus dem Leib. Auch ließ ich zu ihrer Unterhaltung Minea tanzen, und sie bewunderten sie und machten ihr kostbare Geschenke, ohne etwas von ihr zu verlangen. Denn die Hetiter sind freigebig, wenn etwas ihr Gefallen erweckt. Auf diese Art gewann ich ihre Freundschaft und wagte mich unter der Hand über allerlei Dinge zu erkundigen, nach denen ich nicht offen hätte forschen können. Das meiste erfuhr ich durch den königlichen Archivar, der viele Sprachen in Wort und Schrift beherrschte, den Briefwechsel des Königs mit dem Ausland führte und nicht durch die allgemeinen Sitten gebunden war. Ich ließ ihn allerdings glauben, daß ich aus Ägypten vertrieben worden sei und nie mehr dorthin zurückkehren könne, weshalb ich ausschließlich zu dem Zweck, Gold zu sammeln und meine Kenntnisse zu bereichern, alle Länder bereise. Er vertraute mir und beantwortete meine Fragen, wenn ich ihm nur guten Wein anbot und Minea vor ihm tanzen ließ. Unter anderem fragte ich ihn: »Warum bleibt Chattuschasch den Fremden verschlossen? Warum müssen Karawanen und Kaufleute vorgeschriebene Wege benützen, wo doch euer Land so reich ist und die Sehenswürdigkeiten eurer Stadt mit denjenigen jeder anderen Stadt wetteifern können? Wäre es nicht besser, andere Völker lernten eure Macht kennen, um euch und euer Land nach Verdienst zu preisen?«
Er kostete den Wein und betrachtete mit lüsternen Augen Mineas schlanke Glieder; dann sagte er: »Bei seiner Thronbesteigung sprach unser großer König Schubbiluliuma: ›Gebt mir dreißig Jahre – und ich mache aus dem Lande Chatti das mächtigste Reich, das die Welt je gesehen hat.‹ Diese Zeit ist nun bald verstrichen, und ich glaube, daß die Welt binnen kurzem mehr über das Land Chatti erfahren wird, als ihr lieb sein dürfte.«
»In Babylon«, fuhr ich fort, »sah ich sechzig mal sechzig mal sechzig Soldaten an ihrem König vorüberziehen, und ihre Schritte klangen wie Meeresrauschen. Hier habe ich vielleicht zehn mal zehn Soldaten gleichzeitig versammelt gesehen; ich verstehe nicht, was ihr mit all den Streitwagen macht, die in euren Werkstätten angefertigt werden. Was wollt ihr in den Bergen mit ihnen anfangen? Sie eignen sich doch nur für den Kampf auf ebenem Feld.«
Er meinte lachend: »Für einen Arzt bist du eigentlich sehr neugierig, Sinuhe, Ägypter! Vielleicht aber verdienen wir unser karges Brot dadurch, daß wir den Königen der Flachländer Streitwagen verkaufen.« Diese Worte äußerte er mit verkniffenen Augen und pfiffiger Miene.
»Das glaube ich nicht«, entgegnete ich kühn. »Ebensogern würde ein Wolf dem Schaf seine Zähne und dem Hasen seine Krallen leihen.« Er lachte und schlug sich auf die Knie, daß der Wein aus dem Becher spritzte, und sagte: »Das muß ich dem König erzählen. Vielleicht wirst du noch eine große Hasenjagd erleben; denn das Recht der Hetiter ist ein anderes als das der Flachländer. Soviel ich verstanden habe, herrschen in eurem Lande die Reichen über die Armen, bei uns aber sind es die Starken, welche die Schwachen beherrschen; und ich glaube, Sinuhe, die Welt wird eine neue Lehre kennenlernen, ehe dein Haar ergraut ist.«
»Auch der jetzige Pharao Ägyptens hat einen neuen Gott gefunden«, sagte ich mit erheuchelter Einfalt.
»Ich weiß es«, sagte er, »da ich alle Briefe meines Königs lese; dieser neue Gott ist äußerst friedliebend und behauptet, es gebe keinen Zwist unter den Völkern, der nicht in Eintracht gelöst werden könne. Gegen diesen Gott haben wir nichts einzuwenden, sondern sind im Gegenteil sehr zufrieden, solange er in Ägypten und den Flachlanden herrscht. Euer Pharao hat unserem großen König ein ägyptisches Kreuz gesandt, das er als Symbol des Lebens bezeichnet; sicherlich werden
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