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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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ihren Gott nicht verraten, sondern mein Herz verschließen und als bloßer Augenzeuge schildern. Ich kann ruhig sagen, daß ich, der ich doch alle bekannten Länder bereist habe, nirgends in der Welt etwas so Eigenartiges und Schönes wie Kreta gesehen. Wie das Meer schimmernde Gischt ans Land treibt, wie die Blasen in allen Farben des Regenbogens prangen und wie die Muschelschalen perlmuttern glänzen, so leuchtete und glühte Kreta wie Schaum vor meinen Augen. Denn nirgends herrschen Lebensfreude und Genuß so rückhaltlos und spielerisch wie auf Kreta, und kein Mensch tut dort etwas anderes, als was ihm gerade einfällt, weshalb es schwer ist, mit diesen Leuten Versprechungen auszutauschen oder Verträge abzuschließen, weil ein jeder im einen Augenblick das eine und im nächsten etwas anderes beschließt. Deshalb reden sie auch von lauter Dingen, die schön und behaglich anzuhören, wenn auch nicht immer wahr sind, weil sie sich am Klang der Worte berauschen. In ihrem Land ist nie die Rede vom Tod, und ich glaube, daß das Wort »Tod« in ihrer Sprache nicht einmal vorkommt; jedenfalls wird er verheimlicht, und wenn jemand stirbt, wird er in aller Stille fortgeschafft, um den anderen jede Beklemmung zu ersparen. Ich glaube auch, daß sie die Leichen verbrennen, obgleich ich es nicht mit Bestimmtheit weiß; denn während meines ganzen Aufenthalts auf Kreta sah ich weder Tote noch Gräber – mit Ausnahme der alten Königsgräber, die, aus Urzeiten stammend, aus großen Steinen aufgeführt sind und von den Leuten in großem Bogen umgangen werden, weil man nicht an den Tod denken will, wie wenn man diesem dadurch entgehen könnte.
    Auch ihre Kunst ist seltsam und launisch, und jeder Maler malt, was ihm gefällt, ohne sich an Regeln zu halten, ausschließlich aus Liebe zu dem, was seinen Augen schön dünkt. Ihre Krüge und Schalen prunken in glühenden Farben; darauf schwimmen Fische und andere Seetiere und scheinen Blumen zu wachsen und Schmetterlinge in der Luft zu schweben, so daß ein Mensch, der an eine von Regeln geleitete Kunst gewöhnt ist, beim Betrachten dieser Schöpfungen verwirrt wird und zu träumen glaubt.
    Ihre Bauten sind nicht groß und mächtig wie die Tempel und Paläste anderer Länder; denn ihre Erbauer streben nach Bequemlichkeit und Luxus im Innern ihrer Gebäude, ohne viel Wert auf deren Äußeres zu legen. Sie lieben frische Luft und Reinlichkeit und lassen den Wind durch ihre Gitterfenster in die Zimmer herein. In ihren Häusern gibt es viele Badezimmer, in deren glänzende Wannen kaltes und heißes Wasser aus Silberröhren fließt, wenn man einen Hahn aufdreht. Auch werden die Schalen ihrer Aborte von brausenden Wasserstrahlen reingespült. Nirgends habe ich einen solchen Luxus gesehen wie in den Häusern Kretas. So leben nicht etwa bloß die Reichen und Vornehmen, sondern alle mit Ausnahme der Fremden und der Arbeiter, die im Hafenviertel wohnen.
    Ihre Frauen verwenden unendlich viel Zeit, um sich zu waschen, von lästigem Haarwuchs zu befreien, das Gesicht zu pflegen, zu verschönern und zu schminken, und werden daher nie beizeiten mit dem Ankleiden fertig, sondern finden sich zu den Gastmählern ein, wann es ihnen gerade beliebt. Sogar zu den Empfängen ihres Königs erscheinen sie, wann es ihnen paßt, und niemand hält sich darüber auf. Das Seltsamste aber ist ihre Kleidung. Die Frauen tragen eng anliegende, aus Gold und Silber gewobene Gewänder, die ihren ganzen Leib mit Ausnahme der Arme und des Busens einhüllen; denn sie sind stolz auf die Schönheit ihre entblößten Brüste, während die weiten Faltenröcke mit tausenderlei Stickereien und mit von Künstlern gemalten Figuren verziert sind. Auch tragen sie Kleider, die aus Hunderten von Goldplättchen in Form von Tintenfischen, Schmetterlingen und Palmblättern zusammengesetzt sind und ihre Haut durchschimmern lassen. Ihr Haar lassen sie zu kunstreichen hohen Frisuren auftürmen, die oft tagelange Arbeit beanspruchen, und sie krönen diesen Aufbau mit kleinen leichten Hüten, die mit goldenen Nadeln im Haar befestigt werden und wie flugbereite Falter auf ihren Häuptern schaukeln. Ihre Gestalten sind schlank und geschmeidig und ihre Lenden knabenhaft schmal, weshalb sie nur schwer gebären. Sie vermeiden es auch nach Möglichkeit, Mütter zu werden, und betrachten es nicht als Schande, kinderlos zu sein oder nur ein bis zwei Kinder zu besitzen.
    Die Männer tragen verzierte Stiefel, die bis zu den Knien reichen. Ihr Lendentuch

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