Sinuhe der Ägypter
in diesem Haus nicht jeder einen Sitz und einen Becher erhielt. Die Gäste waren ausgewählt, und wenn auch der eine oder andere sein Gold als Grabplünderer verdiente oder sein Leben als Erpresser fristete, so vergaßen sie doch in dieser Umgebung ihre Berufe und benahmen sich gesittet. Ich schenkte Kaptah Glauben, wenn er behauptete, in diesem Hause träfen sich bloß solche Leute, die einander nützlich seien. Nur ich bildete eine Ausnahme, niemand hatte Nutzen von mir, und ich war auch hier ein Fremder, obgleich man mich duldete und in meiner Anwesenheit keine Schüchternheit empfand, weil ich ein Freund Kaptahs war. Ich vernahm hier manches und hörte den Pharao sowohl verfluchen als preisen; über seinen neuen Gott lachte man meistens. Eines Abends betrat die Weinstube ein Händler in Räucherwerk, der sich die Kleider zerrissen und Asche ins Haar gestreut hatte. Er kam, um seinen Kummer mit einem »Krokodilschwanz« zu stillen, und rief laut jammernd aus: »Wahrlich, verflucht in Ewigkeit sei dieser falsche Pharao, dieser Bastard und falsche Erbe! Niemand hält ihn mehr im Zaum. Er macht, was ihm durch den Kopf fährt, und verdirbt mir meinen ehrlichen Beruf. Ich machte nämlich bis jetzt meinen besten Gewinn mit Räucherwerk, das aus dem Lande Punt eingeführt wurde. Die Seefahrten im östlichen Meere sind keineswegs gefährlich. Jeden Sommer sind Handelsschiffe dorthin ausgerüstet worden, und im Jahr darauf sind stets mindestens zwei von zehn Schiffen zurückgekehrt und haben sich nicht mehr verspätet als eine Wasseruhr, weshalb ich im voraus meine Anlagen und Gewinne gut berechnen konnte. Aber habt ihr schon etwas Verrückteres gehört? Als die Flotte sich wieder zur Abfahrt rüstete, befand sich der Pharao auf Inspektion im Hafen. Warum, in Seths Namen, muß er überall wie eine Hyäne herumschnüffeln? Zu diesem Zwecke hat er ja seine Schreiber und Ratgeber, die nachzuprüfen haben, ob alles nach Gesetz und guter Sitte vor sich geht, wie es immer geschehen ist! Jedenfalls hörte der Pharao die Seeleute an Bord der Schiffe jammern und sah ihre Frauen und Kinder am Ufer weinen und sich mit spitzen Steinen die Gesichter schürfen, wie es Sitte und Anstand fordern, wenn sich ein Nahestehender auf eine Seereise begibt, da, wie jedermann weiß, viele Männer sich aufs Meer hinausbegeben, aber nur wenige zurückkehren. Das alles gehört dazu, wenn eine Flotte nach Punt abfährt, und so ist es seit den Tagen der großen Königin gewesen. Ihr könnt mir glauben oder nicht: dieser junge Narr, dieser verfluchte Pharao, hat den Schiffen auszulaufen verboten und den Befehl erteilt, nie mehr Schiffe für eine Reise nach Punt auszurüsten. Ammon bewahre uns! Jeder ehrliche Kaufmann weiß, was das zu bedeuten hat. Es bedeutet Verderben und Untergang für unzählige Menschen, bedeutet Armut und Hunger für die Frauen und Kinder der Seeleute. Kein Mann wird wohl in Seths Namen aufs Meer geschickt, wenn er nicht durch seine eigenen Taten dieses Schicksal verdient. Nur die Richter können ihn, gestützt auf das Gesetz, zum Dienst auf See verurteilen. Auch geschieht es nicht eben oft, daß Leute mit Unrecht oder Gewalt auf die Schiffe gesandt werden; dies ereignet sich höchstens in den besten Erntejahren, wenn das Verbrechertum abnimmt. Unter der Regierung dieses Pharao aber haben wir mehr als genug Verbrecher in Ägypten, seitdem die Menschen die Götter nicht mehr fürchten, sondern leben, als wäre jeder Tag der letzte. Bedenkt nur, welche Vermögen in Schiffen und Handelslagern, in Glasperlen und Tongefäßen angelegt sind! Denkt an die ägyptischen Handelsvertreter, die nun für ewige Zeiten und von den Göttern verlassen in den Lehmhütten von Punt zurückbleiben müssen! Beim Gedanken an sie und an ihre weinenden Frauen und Kinder blutet mein Herz, wenn es auch wahr ist, daß viele von diesen Leuten dort drüben neue Familien gegründet und farbige Kinder gezeugt haben.«
Erst als der Händler in Räucherwerk seinen dritten »Krokodilschwanz« auf der Handfläche hielt, beruhigte er sich und verstummte, nachdem er noch rasch um Entschuldigung gebeten hatte, falls er in Kummer und Erregung unehrerbietige Worte über den Pharao geäußert. »Aber«, sagte er, »ich glaubte, die Königin Teje, die eine kluge, erfahrene Frau ist, werde ihren Sohn in Zucht halten, und auch den Priester Eje hielt ich für einen vernünftigen Mann; aber alle haben sie bloß das Ziel im Auge, Ammon zu stürzen, und lassen daher den
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