Sinuhe der Ägypter
zu lieben. Diesem Gebrechen hat meine Heilkunst nicht beizukommen vermocht und ebensowenig mein Stock.«
Sie meinte: »Vielleicht ist die Lüge zuweilen angenehmer als die Wahrheit, wenn nämlich ein Mensch sehr einsam und sein erster Lebensfrühling vorüber ist. Deshalb glaube ich dir gerne, wenn du mich schöne Merit nennst, und glaube alles, was dein Gesicht mir verrät. Aber willst du nicht den ›Krokodilschwanz‹ kosten, den ich dir gebracht habe? Ich bin neugierig zu erfahren, ob er mit den seltsamen Getränken vergleichbar ist, die du in den von dir bereisten, merkwürdigen Ländern genossen hast.«
Ihr immer noch in die Augen sehend, hob ich die Schale in meiner Hand und trank. Aber als ich getrunken, sah ich ihr nicht mehr in die Augen; denn das Blut stieg mir zu Kopf, ich begann zu husten, und meine Kehle brannte wie Feuer. Als ich schließlich wieder zu Atem kam, sagte ich: »Wahrlich, ich nehme alles, was ich soeben über Kaptah geäußert, zurück; denn in dieser Beziehung hat er jedenfalls nicht gelogen! Dein Getränk ist tatsächlich stärker als jedes andere, das ich genossen, ja feuriger als das Erdöl, das die Babylonier in ihren Lampen verwenden, und ich zweifle nicht daran, daß es selbst einen kräftigen Mann ebenso rasch wie der Schlag eines Krokodilschwanzes zu Boden wirft.«
Nachdem ich dies geäußert, horchte ich in mich hinein: Feuer lief mir durch den Leib, in meinem verbrannten Mund spürte ich noch den Geschmack von Gewürzen und Balsam, und mein Herz fühlte sich beschwingt wie eine Schwalbe. Da sagte ich: »Bei Seth und allen Teufeln! Ich kann nicht begreifen, wie dieser Trank gebraut ist, und weiß nicht, ob er oder deine Augen es sind, die mich verzaubern, Merit! Zauber fließt durch meine Glieder, mein Herz ist wieder jung, und du darfst dich nicht wundern, wenn ich meine Hand an deine Lenden lege.«
Sie zog sich vorsichtig ein wenig zurück und hob schelmisch die Hände; sie war schlank und langgliedrig und lächelte mich an, indem sie sprach: »Es schickt sich nicht, daß du fluchst, denn du befindest dich in einer anständigen Weinstube. Ich bin auch nicht sehr alt, sondern sogar fast unberührt, wenn deine Augen es vielleicht auch nicht glauben wollen. Über den Trank aber kann ich dir sagen, daß er die einzige Mitgift ausmacht, die ich von meinem Vater erhalten. Deshalb hat dein Sklave Kaptah inständig um mich angehalten, in der Hoffnung, von mir das Rezept umsonst zu erhalten; aber er ist einäugig, beleibt und alt, und ich glaube nicht, daß eine reife Frau Freude an ihm haben kann. Nun hat er diese Schenke für Gold erwerben müssen. Auch meine Kunst will er kaufen, wird aber sehr viel Geld abwägen müssen, ehe wir uns darüber einig werden.«
Kaptah machte verzweifelte Gebärden, um sie zum Schweigen zu bringen; ich aber kostete abermals von dem Getränk, fühlte wiederum das Feuer sich in meinem Leib entzünden und sprach: »Ich glaube wohl, daß Kaptah dieses Trankes wegen sogar bereit wäre, einen Krug mit dir zu zertrümmern, obgleich er weiß, daß du ihm bald nach der Hochzeit heißes Wasser über die Füße gießen würdest. Aber auch ohne deine Kunst verstehe ich ihn, wenn ich dir in die Augen schaue, obgleich du nicht vergessen darfst, daß in diesem Augenblick der ›Krokodilschwanz‹ aus mir spricht und ich morgen vielleicht nicht mehr für meine Worte einstehe. Aber ist es wirklich wahr, daß Kaptah der Besitzer dieser Weinstube ist?«
»Verschwinde, du freches Weibsbild!« sagte Kaptah und schmückte seine Worte mit einer Reihe von Götternamen, die er in Syrien gelernt hatte. »Herr«, wandte er sich alsdann bittend an mich. »Es kommt ein wenig zu plötzlich. Ich wollte dich vorsichtig darauf vorbereiten und um deinen Beifall bitten, da ich immer noch dein Diener bin. Aber es ist wirklich wahr, daß ich dieses Haus bereits dem Wirt abgekauft habe, und ich werde auch aus seiner Tochter das Geheimnis der Zubereitung des ›Krokodilschwanzes‹ herausholen! Dieses Getränk hat die Schenke überall am Strom, wo frohe Männer sich versammeln, bekanntgemacht, und ich habe jeden Tag, den ich fem von hier verbrachte, daran gedacht. Wie du weißt, habe ich dich in diesen Jahren geschickt und nach besten Kräften bestohlen, weshalb ich Schwierigkeiten hatte, auch mein eigenes Gold und Silber gut anzulegen; denn ich muß an meine alten Tage denken, wenn ich nicht mehr laufen kann und meine Beine an einem Feuerbecken wärmen will.« Er warf mir einen
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