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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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Westens eingehen wirst, selbst wenn dein Leib an der Mauer vermodern sollte. Ebenso ergeht es den Seeleuten, die im Dienste Ammons ertrinken, wenn sie ihm kostbares Holz und gutes Räucherwerk holen. Auch sie gehen geradenwegs in das Land des Westens ein, ohne zuerst im Sumpf des Totenreiches waten zu müssen. Deshalb ist es vom Pharao verbrecherisch, ihnen die Möglichkeit zu rauben, Ammons wegen zu ertrinken.« Er hieb mit seiner Muschelschale auf den Tisch und rief, an alle Schankgäste gewendet, mit lauter Stimme: »Als Priester des vierten Grades sage ich euch, daß jede Handlung, die ihr Ammons wegen begeht, euch verziehen wird, selbst wenn es sich um Raub, Mißhandlung, Mord oder Vergewaltigung handeln sollte. Denn Ammon sieht den Menschen ins Herz und beurteilt ihre Taten nach den Absichten ihrer Herzen. Geht und nehmt Waffen unter euren Mänteln mit und …«
    Hier ward seine Rede unterbrochen; denn der Schankwirt ging ruhig auf ihn zu und versetzte ihm mit einem ledernen Knüttel einen Schlag auf den Schädel, so daß dieser zwischen die Knie sank und die Worte ihm im Hals steckenblieben. Alle zuckten zusammen, und der von der Pest zerfressene Mann zog sein Messer aus dem Gürtel. Doch der Wirt sprach ruhig: »Ich habe diese Tat Ammons wegen begangen. Daher ist sie mir im voraus verziehen; und der Priester selbst wird, sobald er erwacht, der erste sein, die Wahrheit dieser Behauptung zuzugeben. Denn auch wenn er im Namen Ammons die Wahrheit sprach, so sprach doch gleichzeitig der ›Krokodilschwanz‹ aus ihm, weil er viel zu laut rief und in diesem Haus nur ich allein schreien und toben darf. Ich glaube, ihr alle, die ihr bei Verstand seid, werdet verstehen, was ich meine.«
    Alle gaben zu, daß der Wirt klug und wahr gesprochen habe. Der von der Pest Zerfressene bemühte sich, den Priester wieder zum Bewußtsein zu bringen, und einige Gäste verschwanden rasch. Auch Kaptah und ich gingen. An der Tür sagte ich zu Merit: »Du weißt, daß ich einsam bin, aber deine Augen haben mir verraten, daß du ebenfalls einsam bist. Ich habe viel an die Worte gedacht, die du einst äußertest, und ich glaube, daß eine Lüge zuweilen wirklich süßer als die Wahrheit für denjenigen sein kann, der einsam und dessen erster Lebensfrühling erloschen ist. Deshalb möchte ich dich bitten, so ein neumodisches Sommergewand anzuziehen, von dem du sprachst! Du bist gut gewachsen, deine Glieder sind schlank, und ich glaube auch nicht, daß du dich deines Bauches zu schämen brauchtest, wenn ich neben dir durch die Widderstraße schlenderte.« Dieses Mal stieß sie meine Hand nicht von ihren Lenden weg, sondern drückte sie sacht und sagte: »Vielleicht werde ich tun, was du vorschlägst.« Aber ihr Versprechen bereitete mir keine Freude, als ich in den heißen Abend des Hafens hinaustrat; mein Sinn war voller Wehmut, und irgendwo in weiter Ferne klang vom Strom her durch den stummen Abend die einsame Stimme einer zweirohrigen Schalmei.
    Am folgenden Tag kehrte Haremhab mit einer Truppenabteilung nach Theben zurück. Doch um dieses und alles, was hernach geschah, zu erzählen, muß ich ein neues Buch beginnen. Vorerst will ich aber noch erwähnen, daß ich während meiner Tätigkeit als Armenarzt zweimal Schädelöffnungen vornahm; der eine Patient war ein kräftiger Mann, der andere eine arme Frau, die sich für die große Königin Hatschepsut hielt. Beide erholten sich und wurden vollständig geheilt, was mir wegen meiner Geschicklichkeit große Freude bereitete; aber die alte Frau war sicher glücklicher, solange sie noch glaubte, die große Königin zu sein!

ZWEITER BAND

    Zehntes bis fünfzehntes Buch

Zehntes Buch

DIE STADT IN DER HIMMELSHÖHE

    1

    Als Haremhab aus dem Lande Kusch zurückkehrte, war die heißeste Zeit des Sommers angebrochen. Die Schwalben waren längst verschwunden und hatten sich im Schlamm vergraben, in den Teichen nahe der Stadt faulte das Wasser, und Heuschrecken wie Erdflöhe schädigten die Ernte. Aber die Gärten der Reichen zu Theben prangten dunkelgrün und spendeten Kühlung, und zu beiden Seiten der von Widdern besäumten großen Straße leuchteten die Blumenbeete in allen Regenbogenfarben; denn Mangel an frischem Wasser litten in Theben nur die Armen. Es wurden auch nur die Speisen der Armen vom Staub zerstört, der sich wie ein Netz über alles legte und die Blätter der Akazien und Sykomoren im Armenviertel mit einer grauen Schicht überzog. Im Süden, jenseits des Stromes, aber erhob

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