Sinuhe der Ägypter
verrückten Einfällen des Pharao freie Zügel. Bedauernswerter Ammon! Ein Mann kommt gewöhnlich zur Vernunft, wenn er mit einer Frau einen Krug zertrümmert und geheiratet hat; aber diese Nofretete, diese große königliche Gemahlin, denkt nur an ihre Kleider und ihre unanständigen Moden. Ihr mögt mir glauben oder nicht: die Frauen des Hofes umranden nunmehr die Augen mit grünem Malachitpulver und tragen von der Taille abwärts geschlitzte Kleider, die den Blicken der Männer den Nabel entblößen.«
Kaptahs Neugier erwachte, und er meinte: »Solche Moden habe ich noch in keinem anderen Lande gesehen, obwohl ich viel Sonderbares, gerade was Frauenkleidung anbelangt, gesehen habe. Meinst du wirklich, daß die Frauen des Hofes und auch die Königin sich so entblößen?«
Der Händler ward zornig und sagte: »Ich bin ein frommer Mann, der Frau und Kinder hat. Deshalb ließ ich den Blick nicht bis unter den Nabel schweifen und würde auch dir nicht raten, etwas so Unpassendes zu tun.«
Da mischte sich Merit ungehalten ins Gespräch: »Dein eigener Mund ist schamlos und keineswegs diese neuen Sommermoden, die angenehm kühl sind und die Schönheit einer Frau zu voller Geltung bringen, falls sie nur einen schöngeformten Bauch hat. Du hättest den Blick ruhig weiter senken können; unter dem offenen Gewand ist an der nötigen Stelle ein schmales Lendentuch aus hauchdünnem Leinen angebracht, und der Anblick kann auch des Frömmsten Auge nicht beleidigen, wenn die Frau sich nur sorgfältig die Haare hat ausrupfen lassen, wie jede anständige Frau es tut.«
Der Händler hätte ihr gerne geantwortet, vermochte es aber nicht mehr; denn der dritte »Krokodilschwanz« war stärker als seine Zunge. Deshalb legte er das Haupt in die Hände und weinte bitterlich über die Kleidung der Hofdamen und über das traurige Schicksal der im Puntland zurückgebliebenen Ägypter. Statt seiner mischte sich ein alter Ammonpriester ins Gespräch, dessen dickes Gesicht und kahl rasierter Schädel von duftendem Öl glänzten. Von dem »Krokodilschwanz« angefeuert, hieb er mit der Faust auf den Tisch und rief mit lauter Stimme:
»Jetzt geht’s aber zu weit! Ich meine nicht mit der Frauenmode – denn Ammon läßt jede Kleidung gelten, vorausgesetzt, daß die Menschen an den heiligen Tagen Weiß tragen; und jedermann sieht gerne den Nabel und runden Bauch einer Frau. Zu weit aber geht es, wenn der Pharao auf so rücksichtslose Art und unter dem Vorwand des bedauernswerten Schicksals der Seeleute jede Zufuhr von wohlriechendem Holz aus dem Lande Punt verhindern will! Ammon hat sich nun einmal an den süßen Duft gewöhnt; und sollen wir etwa in Zukunft unsere Opfer auf einem Misthaufen verbrennen? Das ist ein schandbares Ärgernis und eine gewollte Herausforderung! Es sollte mich nicht wundern, wenn hiernach jeder redliche Mann einem jeden ins Gesicht spuckt, der das Kreuz des Lebens auf seinen Kleidern gestickt trägt – als Abzeichen jenes verfluchten Gottes, mit dessen Namen ich meinen heiligen Mund nicht verunreinigen will. Wahrlich, ich würde demjenigen viele ›Krokodilschwänze‹ zahlen, der heute nacht in den euch wohlbekannten Tempel ginge, um sein Bedürfnis auf dem Altar zu verrichten; denn der Tempel ist offen und ohne Mauern, und ich glaube, ein geschickter Mann könnte die Wächter leicht irreführen. Ich würde es tatsächlich selber tun, wenn es mit meiner Würde vereinbar wäre und Ammons Ansehen nicht darunter litte.«
Er blickte sich herausfordernd um, und nach einer Weile trat ein Mann mit einem von der Pest zerfressenen Gesicht auf ihn zu. Sie begannen miteinander zu flüstern, und der Priester bestellte zwei »Krokodilschwänze«, bis der von der Pest Zerfressene seine Stimme hob und sagte: »Wahrlich, ich werde es tun! Zwar nicht des von dir versprochenen Goldes wegen, sondern meiner eigenen Seele zuliebe; denn obgleich ich sündhafte Taten begangen habe und nicht zögern würde, einem Mann den Hals von Ohr zu Ohr aufzuschlitzen, so glaube ich doch noch an das, was meine Mutter mich gelehrt. Ammon ist mein Gott, dessen Gunst ich vor meinem Tod verdienen will; denn jedesmal, wenn mich mein Magen schmerzt, gedenke ich mit Kummer der vielen schwarzen Taten, die ich begangen.«
»Wahrlich«, sagte der Priester, ebenso berauscht, »deine Tat wird dir zum Verdienst gereichen, und ihretwegen wird dir vieles verziehen werden. Solltest du Ammons wegen in Gefahr geraten, so wisse, daß du geradenwegs in das Land des
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