Sinuhe der Ägypter
tot war, sondern unter den Händen der Leichenwäscher wieder zum Leben erwachte!«
Ramose antwortete: »Wahrlich, das fürchterliche Weib erwachte im Haus des Todes wieder zum Leben, doch wieso du das weißt, will ich lieber nicht zu erraten suchen. Sie erwachte zum Leben, weil Frauen ihrer Art niemals sterben, das heißt, wenn eine stirbt, muß ihr Leib verbrannt werden, damit sie nie mehr zum Leben zurückkehren kann. Nachdem wir sie kennengelernt hatten, gaben wir ihr den Namen Sethnefer, die Schönheit des Teufels.«
Da befiel mich eine schreckliche Ahnung, und ich fragte: »Warum sprichst du von ihr, als gehöre sie der Vergangenheit an? Weilt sie denn nicht mehr im Haus des Todes, obgleich die Leichenwäscher versprachen, sie siebzig mal siebzig Tage dort zu behalten?«
Ramose klapperte ärgerlich mit seinen Messern und Zangen, und ich glaube, er würde Hand an mich gelegt haben, wenn ich ihm nicht einen Krug des besten Weines aus dem Keller des Pharao gebracht hätte. Deshalb begnügte er sich damit, das staubige Siegel des Kruges mit dem Daumen zu befühlen, und sagte dann: »Wir haben es nicht schlecht mit dir gemeint, Sinuhe, sondern ich betrachtete dich wie einen eigenen Sohn und hätte dich gerne dein ganzes Leben lang im Haus des Todes behalten und meine Kunst gelehrt. Auch balsamierten wir die Leichen deiner Eltern so ein, wie sonst nur die Leichen der Vornehmen behandelt werden, ohne an unseren besten ölen zu sparen. Warum also hast du uns das Böse angetan, dieses fürchterliche Weib lebendig in das Haus des Todes zu bringen? Wisse, daß wir vor ihrem Auftauchen dort ein einfaches, arbeitsames Leben führten, unsere Herzen an Bier ergötzten und uns mächtig bereicherten, indem wir den Toten ohne Rücksicht auf Stand oder Geschlecht den Schmuck stahlen, und den Zauberern gewisse Körperteile, die sie zur Ausübung ihrer Schwarzkunst brauchen, verkauften. Nachdem aber diese Frau zu uns gekommen war, verwandelte sich das Haus des Todes in einen Abgrund der Unterwelt, die Männer verletzten einander mit Messern und balgten sich wie tollgewordene Hunde um sie. Sie raubte uns all unseren Reichtum, alles Gold und Silber, das wir jahrelang gesammelt und im Haus des Todes versteckt gehalten hatten; sie verachtete nicht einmal Kupfer, sondern beraubte uns sogar unserer Kleider, und wenn einer alt wie ich war und sich nicht mehr für sie entflammen konnte, verführte sie die anderen dazu, ihn zu bestehlen, nachdem sie zuerst all ihr Hab und Gut an sie vergeudet hatten. Nicht mehr als drei mal dreißig Tage waren verstrichen, als sie uns bereits bis auf die Knochen ausgeraubt hatte. Als sie merkte, daß nichts mehr aus uns herauszuholen war, verlachte und verhöhnte sie uns, so daß zwei in sie verliebte Leichenwäscher sich ob ihrem Hohn mit ihren Gürteln erdrosselten. Alsdann ging sie ihres Weges und nahm allen Reichtum mit, und wir konnten sie nicht am Gehen hindern, denn wenn sich ihr einer in die Quere stellte, trat sofort ein anderer für sie ein, um ein Lächeln ihrer Lippen oder eine Liebkosung ihrer Finger zu erhaschen. So nahm sie unsere Ruhe und unseren Reichtum mit und entführte mindestens dreihundert Deben Gold, von dem Silber und Kupfer, den Leinenbinden und Salben nicht zu reden, die wir jahrelang nach gutem Brauch den Leichen abgenommen hatten. Doch versprach sie, nach einem Jahr wiederzukehren, um uns zu besuchen und nachzusehen, was wir in einem Jahr zusammengebracht hätten. Daher wird nun im Haus des Todes zu Theben mehr denn je zuvor gestohlen, und die Leichenwäscher haben gelernt, nicht bloß die Leichen, sondern auch einander zu plündern, so daß der Friede uns völlig verlassen hat. Du wirst daher verstehen, daß wir sie Sethnefer nannten, denn wahrlich, sie ist schön, doch stammt ihre Schönheit von Seth.«
Auf diese Art erfuhr ich, wie kindisch meine Rache gewesen war, denn Nefernefernefer kehrte unversehrt und reicher als zuvor aus dem Haus des Todes zurück, und ich glaube nicht, daß sie durch ihren dortigen Aufenthalt irgendeinen anderen Schaden davontrug, als daß ihr Leib für einige Zeit jenen Geruch bewahrte, der sie vorübergehend an der Ausübung ihres Berufes hinderte. Ohne Zweifel war sie jedoch ruhebedürftig nach ihrem Aufenthalt bei den Leichenwäschern, und ich brauchte mich schließlich ihretwegen nicht mehr zu sorgen; denn meine Rache hatte, ohne ihr zu schaden, mir am Herzen gefressen. Nach dieser Erfahrung wußte ich, daß Rache keine, Freude mit sich
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