Sinuhe der Ägypter
und seine Familie, und die Inschrift eines jeden Marksteines war ein Schwur des Pharao, den Fuß nie mehr außerhalb seines Aton geweihten Landes zu setzen. Für diese Einweihung bauten die Arbeiter gepflasterte Straßen in alle vier Himmelsrichtungen, damit der Pharao in seinem goldenen Wagen bis zu den Marksteinen fahren konnte. Die Mitglieder der königlichen Familie folgten ihm in Wagen und Sänften, und ebenso folgten die Hofleute und streuten Blumen, während Flöten- und Saiteninstrumente zu Atons Lob und Preis erklangen.
Nicht einmal nach seinem Tod wollte Pharao Echnaton die Stadt Achetaton verlassen, sondern nach ihrer Fertigstellung schickte er seine Arbeiter aus, um ewige Höhlen in dem östlichen, auf dem Gebiet Atons gelegenen Berg auszuhauen. Dieser Grabbau beschäftigte die Arbeiter, solange sie lebten, so daß sie nie mehr in ihre früheren Heime zurückkehren konnten. Aber sie sehnten sich auch nicht mehr nach ihrer einstigen Heimat und fügten sich willig darein, in ihren neuen Wohnstätten, im Schatten des Pharao, zu leben; denn die ihnen zugeteilten Getreidemaße waren reichlich, das Öl versiegte nie in ihren Krügen, und ihre Frauen gebaren gesunde Kinder.
Nachdem Echnaton beschlossen hatte, in Achetaton für sich und seine Vornehmen auch die letzten Ruhestätten bauen zu lassen, und jedem Edelmann, der mit ihm in der Stadt der Himmelshöhe wohnen wollte und an Aton glaubte, ein Grab zu schenken, ließ er auch noch ein Haus des Todes außerhalb der Stadt aufführen, damit die Leichen der in Achetaton Verstorbenen niemals vernichtet, sondern in Ewigkeit erhalten würden. Zu diesem Zweck ließ er die hervorragendsten Balsamierer und Leichenwäscher aus dem Haus des Todes zu Theben kommen, ohne nach ihrem Glauben zu fragen, denn Leichenwäscher und Balsamierer können ihres Berufes wegen überhaupt keinen Glauben haben, und nur ihre Geschicklichkeit ist von Bedeutung. Sie kamen in einem schwarzen Schiff den Strom herunter, und der Wind trug ihren Geruch vor ihnen her, so daß die Menschen sich in ihre Häuser zurückzogen, ihre Häupter senkten und Gebete an Aton richteten. Viele aber beteten auch zu den alten Göttern und machten das heilige Zeichen Ammons, denn beim Geruch der Leichenwäscher rückte Aton ihnen fern, und sie entsannen sich ihrer alten Götter. Die Leichenwäscher und Balsamierer gingen mit all ihren Werkzeugen an Land, blinzelten mit ihren an das Dunkel im Haus des Todes gewohnten Augen, fluchten über den Schmerz, den das Licht ihren Augen verursachte, begaben sich rasch in das neue Haus des Todes, wohin sie ihren Geruch mit sich führten, und darum fühlten sie sich dort bald so heimisch, daß sie es nie mehr verließen. Unter ihnen befand sich auch der alte Zangenkünstler Ramose, dessen Aufgabe darin bestand, die Hirne aus den Schädeln der Leichen zu entfernen, und ich begegnete ihm im Haus des Todes, denn weil den Priestern Atons vor diesem Gebäude grauste, stellte der Pharao es unter meine Aufsicht. Der Mann betrachtete mich lange, erkannte mich schließlich und war sehr erstaunt. Ich selbst half dabei absichtlich seinem Gedächtnis nach, um sein Vertrauen zu wecken, weil die Ungewißheit mir wie ein Wurm am Herzen nagte und ich wissen wollte, welche Früchte meine Rache im Haus des Todes zu Theben gezeitigt hatte. Nachdem wir uns über seinen Beruf und seine Aufgaben unterhalten hatten, fragte ich daher:
»Ramose, mein Freund, hast du zufällig mit deiner Kunst eine schöne Frau behandelt, die nach den Schreckenstagen von Theben in das Haus des Todes gebracht wurde und deren Namen, wenn ich mich nicht irre, Nefernefernefer lautete?«
Den Nacken gebeugt, gaffte er mich aus blinzelnden Schildkrötenaugen an und sagte: »Wahrlich, Sinuhe, du bist der erste vornehme Mann, der je einen Leichenwäscher Freund genannt hat. Das rührt mein Herz tief, und die Kunde, die du ersehnst, muß von großer Bedeutung für dich sein, da du mich deinen Freund nennst. Du warst doch nicht etwa der Mann, der sie in einer dunklen Nacht, in das schwarze Tuch des Todes gehüllt, dorthin brachte; denn in diesem Fall wärest du wahrlich kein Freund der Leichenwäscher, und sie würden, wenn sie es erführen, dir mit ihren Messern Leichengift durchs Fell impfen, damit du eines grauenhaften Todes stürbest.«
Bei diesen Worten erzitterte ich und sprach: »Wer sie auch immer dorthin gebracht haben mag, sie hatte ihr Schicksal wahrlich verdient. Deine Worte aber lassen mich ahnen, daß sie nicht
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