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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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ist nicht mit unserer Würde vereinbar, daß wir auf Dreschböden hocken, dreckigen Bälgen die Nase wischen und häßliche Schriftzeichen in den Sand kritzeln. Wir besitzen nicht einmal Schreibtafeln und Rohrfedern, und die neuen Schriftzeichen vermögen keineswegs die Kenntnisse, die wir mit viel Mühe und unter großem Kostenaufwand erworben, wiederzugeben. Auch wird uns unser Lohn unregelmäßig ausgezahlt, die Eltern messen ihn uns nur knapp zu, ihr Bier ist schwach und sauer, und das Öl in unseren Krügen ranzig. Dennoch tun wir alles, was der Pharao verlangt, um ihm zu beweisen, daß es eine Unmöglichkeit ist, alle Kinder lesen und schreiben zu lehren. Solches können bloß die besten Köpfe unter ihnen erlernen. Auch ist es unseres Erachtens ein Wahnsinn, daß die Mädchen schreiben lernen. Dergleichen ist noch nie vorgekommen, und wir vermuten, daß den Schreibern des Pharao ein Fehler in ihrem Schriftstück unterlaufen ist, was wiederum die Unvollkommenheit und Untauglichkeit der neuen Schrift beweist.«
    Ich prüfte ihre Kenntnisse, und diese bereiteten mir keine Freude. Noch weniger erfreute mich der Anblick ihrer aufgedunsenen Gesichter und des flackernden Blicks; denn diese Lehrer waren heruntergekommene Schreiber, die kein Mensch mehr in seinem Dienst behalten wollte. Ihre Fähigkeiten waren gering, sie hatten das Kreuz des Aton nur genommen, um ihr Brot verdienen zu können, und wenn es unter ihnen einmal eine lobenswerte Ausnahme gab: eine einzige Fliege vermochte den Winter nicht in Sommer zu verwandeln. Auch die Siedler und die Dorfältesten fluchten bitterlich im Namen Atons:
    »Wir bitten dich, Sinuhe, sprich mit dem Pharao und sage ihm, er solle uns wenigstens von der Last dieser Schulen befreien, sonst halten wir das Leben nicht mehr aus. Unsere Knaben kommen mit blauen Flecken und zerraufter Stirnlocke nach Hause; diese schrecklichen Lehrer sind unersättlich wie Krokodile und fressen uns bettelarm; nichts ist ihnen gut genug: sie verachten unser Brot und unser Bier und erpressen von uns den letzten Rest von Kupfer und Tierhäuten, um Wein kaufen zu können. Wenn wir auf den Feldern arbeiten, gehen sie in unsere Häuser und verführen unsere Frauen mit der Behauptung, es sei Atons Wille, da es ja keinen Unterschied zwischen Mann und Mann und Frau und Frau gebe. Wahrlich, wir hatten uns keine Veränderung unseres Daseins gewünscht; so waren wir doch glücklich und sahen alle Tage etwas Neues, während wir hier nichts als lehmige Gräben und brüllende Kühe sehen. Jedenfalls hatten die Leute recht, die uns warnten: › Hütet euch vor jeder Veränderung! Für den Armen bedeutet jede Veränderung bloß eine Verschlechterung! Was immer in der Welt sich auch ändern mag: ihr könnt sicher sein, daß gleichzeitig das Getreidemaß des Armen einschrumpft und das Öl in seinem Krug sinkt.‹«
    Mein Herz sagte mir, daß sie vielleicht recht hatten; ich wollte nicht mit ihnen streiten, sondern setzte meine Reise fort. Aber mein Herz war des Pharao wegen schwer, und ich fragte mich, warum wohl alles, was Echnaton berührte, einen Fluch mit sich brachte, so daß die Fleißigen durch seine Geschenke faul wurden und bloß die Erbärmlichsten sich um Aton scharten, wie Fliegen um einen Kadaver schwärmen. Aber ich entsann mich auch des Gedankens, den ich damals auf der Stromfahrt nach dem zu gründenden Achetaton hegte, und der lautete: »Ich habe nichts zu verlieren, wenn ich Aton folge.« Hatte ich also ein Recht, den Faulen, Geizigen und Erbärmlichen etwas vorzuwerfen, die nichts dabei verloren hatten, Aton zu folgen, und nur Trägheit, Geiz und Elend mitbrachten? Was hatte ich selbst in den vergangenen Jahren anderes getan, als wie ein Mastvieh und Schmarotzer in dem goldenen Haus des Pharao zu leben? Hatte ich etwa nicht während eines einzigen Monats als Armenarzt zu Theben mehr für die Menschen ausgerichtet als in all diesen goldträchtigen, übersättigten Jahren in der Stadt Achetaton?
    Und plötzlich durchzuckte ein schrecklicher Gedanke mein Herz: Ist es nicht der Wunsch des Pharao, daß eine Zeit komme, da es weder arm noch reich mehr gibt, sondern alle gleich sind? Doch wenn dies der Sinn des Ganzen ist, dann ist auch das arbeitende Volk der Kern und alles andere nur eine goldene Schale. Vielleicht verhält es sich wirklich so, daß der Pharao, die Leute in seinem goldenen Haus, die reichen und vornehmen Tagediebe und auch ich selbst in diesen Jahren nur Parasiten sind und wie Ungeziefer

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