Sinuhe der Ägypter
zugenommen hatte, mein nächtlicher Schlaf war schwer, und schon nach kurzen Wegstrecken kam ich außer Atem, während ich früher lange gehen konnte, ohne zu keuchen; und daher ward mir die Sänfte unentbehrlich.
Der Gedanke, daß in Zukunft jeder Tag dem vorherigen gleichen und in meinem Leben nichts anderes mehr als das Alltägliche geschehen würde, war mir unerträglich. So unverständig ist das Menschenherz, daß es sich niemals mit seinem Los zufriedengibt, sondern alles tut, um die Ruhe seines Besitzers zu stören und Unfrieden in seinem Innern zu stiften. Deshalb ward ich meines Herzens höchst überdrüssig. Doch als der Herbst wiederkehrte, der Strom stieg und die Schwalben wieder aus dem Schlamm hervorkrochen, um mit behenden Flügeln in der Luft umherzuflitzen, besserte sich die Gesundheit der Tochter des Pharao. Sie wies Zeichen der Genesung auf und lächelte, ohne Schmerzen in der Brust zu spüren. Mein Herz folgte dem Flug der Schwalben, und mit der Erlaubnis des Pharao ging ich an Bord eines stromaufwärts fahrenden Schiffes, um Theben wiederzusehen. Der Pharao ließ durch mich alle Siedler am Ufer grüßen, die den Boden des falschen Gottes unter sich verteilt hatten. Auch den von ihm gegründeten Schulen hieß er mich einen Gruß überbringen und sprach die Hoffnung aus, daß ich bei meiner Rückkehr viel Gutes zu berichten haben werde.
Deshalb ließ ich mein Fahrzeug oft bei den Uferdörfern anlegen und die Dorfältesten zu mir kommen, um mit ihnen zu sprechen. Meine Reise bereitete mir nicht die befürchteten Schwierigkeiten; denn am Mast meines Schiffes flatterte der Wimpel des Pharao, das Bett in meiner Kabine war bequem, und als die Überschwemmung zurücktrat, gab es keine Stechfliegen auf dem Strom. An Bord eines Küchenbootes folgte mir ein Koch, dem man aus allen Dörfern Geschenke brachte, so daß ich keinen Mangel an frischen Nahrungsmitteln litt. Aber als mich die Siedler aufsuchten, waren die Männer mager wie Knochengerüste, ihre Frauen blickten mit verängstigten Augen um sich und schraken bei jedem Laut zusammen, und die Kinder waren kränklich und krummbeinig. Sie zeigten mir ihre Getreidekästen, die nicht einmal zur Hälfte gefüllt waren, und das Getreide war voll roter Punkte, als hätte es Blut hineingeregnet. Sie sagten zu mir:
»Anfangs glaubten wir, unsere Mißerfolge hingen mit unseren mangelnden Kenntnissen zusammen, da wir nie zuvor Ackerbau betrieben haben. Wir dachten, es sei unsere Schuld, daß die Ernte armselig ausfiel und das Vieh zugrunde ging; jetzt aber wissen wir, daß der Boden, den der Pharao unter uns verteilen ließ, verflucht ist, und auch derjenige, der ihn bebaut, von diesem Fluch betroffen wird. Zur Nachtzeit trampeln unsichtbare Füße unsere Getreidefelder und hauen unsichtbare Hände die Obstbäume um, die wir gepflanzt; unsere Rinder gehen ohne Ursache ein, unsere Bewässerungskanäle werden verstopft, und in unseren Brunnen finden wir Kadaver, so daß wir nicht einmal Trinkwasser haben. Viele Leute haben bereits ihre Siedlungen verlassen und sind ärmer als zuvor in die Städte zurückgekehrt, wo sie den Namen des Pharao und dessen Gott verfluchen. Aber wir haben dank unserer Hoffnung bis jetzt durchgehalten und uns auf das Zauberkreuz des Pharao sowie auf die Schreiben, die er uns sendet, verlassen. Wir befestigen diese Briefe an Stangen mitten auf unseren Äckern – zum Schutz gegen die Heuschrecken. Aber der Zauber Ammons ist stärker als derjenige des Pharao, und es nützt uns nichts, wenn wir den Gott des Pharao auch noch so eifrig um Hilfe anrufen. Deshalb ist unser Glauben ins Wanken geraten. Wir können nicht mehr lange durchhalten, sondern gedenken diesen verfluchten Boden zu verlassen, damit wir nicht noch alle umkommen, nachdem bereits viele Frauen und Kinder zugrunde gegangen sind.«
Ich stattete auch ihren Schulen Besuche ab. Als die Lehrer das Kreuz Atons auf meinem Kleid erblickten, versteckten sie fromm ihre Stöcke und machten das Zeichen Atons mit den Händen, die Kinder saßen mit gekreuzten Beinen in geraden Reihen auf den Dreschböden und starrten mich an und getrauten sich kaum, ihre rinnenden Nasen zu putzen. Die Lehrer meinten: »Wir wissen wohl, daß es keinen verrückteren Gedanken gibt als denjenigen, jedes Kind lesen und schreiben lernen zu lassen; aber was täten wir nicht aus Liebe zu unserem Pharao, der uns Vater und Mutter ist und den wir als Sohn seines Gottes verehren! Doch wir sind gelehrte Männer, und es
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