Sinuhe der Ägypter
sagte: »Sinuhe, Sinuhe, was hast du aus dir gemacht? Wenn deine Einsamkeit früher diejenige eines Löwen war, so ist sie heute diejenige eines fetten Schoßhundes, und du trägst ein Gängelband um den Hals.« Sie nahm mir die Perücke ab, strich mir freundlich mit der Hand über den kahlen Schädel und sagte: »Setze dich, Sinuhe! Ich werde dir gekühlten Wein bringen; denn du bist ja ganz atemlos und verschwitzt von deiner mühseligen Reise.« Ich aber warnte sie ängstlich: »Bring mir aber ja keinen ›Krokodilschwanz‹! Mein Magen würde ihn gewiß nicht mehr ertragen und mein Kopf krank werden.«
Sie berührte meine Wange mit der Hand und sagte: »Bin ich schon so alt und dick und häßlich, daß du bei meinem Anblick nach jahrelanger Trennung zuerst an deinen Magen denkst? Früher hast du wahrlich nicht befürchtet, in meiner Gesellschaft Kopfweh zu bekommen, sondern warst so erpicht auf die ›Krokodilschwänze‹, daß ich dich geradezu hindern mußte, zu viele davon zu genießen.«
Ihre Worte verstimmten mich; denn sie hatte die Wahrheit gesprochen, und die Wahrheit wirkt oft entmutigend. Deshalb sagte ich zu ihr: »Ach, Merit, meine Freundin, ich bin alt und tauge zu nichts mehr.« Sie aber entgegnete: »Du bildest dir bloß ein, alt zu sein! Deine Augen machen wahrlich keinen alten Eindruck, wenn sie mich betrachten, und das freut mich mächtig.« Da sagte ich zu ihr: »Um unserer Freundschaft willen, Merit, bring mir rasch einen ›Krokodilschwanz‹, sonst gerate ich dir gegenüber außer Rand und Band, und das verträgt sich nicht mit meiner Würde als königlicher Schädelbohrer, am allerwenigsten in einer Hafenschenke zu Theben.«
Sie holte mir den Trunk und legte die Muschelschale auf meine Hand. Ich hob die Hand und trank, und der »Krokodilschwanz« brannte meine an mildere Weine gewöhnte Kehle. Aber das Brennen war mir angenehm; denn die andere Hand hielt ich wieder auf Merits Lende. Und ich sprach: »Merit, einst sagtest du mir, die Lüge könne süßer als die Wahrheit sein, wenn ein Mensch einsam und sein erster Lenz verblüht ist. Deshalb sage ich dir, daß mein Herz immer noch jung und blühend ist, wenn ich dich erblicke! Die Jahre der Trennung von dir sind mir lang geworden. In all diesen Jahren ist kein einziger Tag vergangen, an dem ich nicht deinen Namen in den Wind gehaucht hätte, und mit jeder stromaufwärts fliegenden Schwalbe habe ich dir einen Gruß gesandt und jeden Morgen beim Erwachen deinen Namen geflüstert.«
Sie sah mich an, und sie dünkte mich noch immer schlank und schön und vertraut. In der Tiefe ihrer Augen blinkte ein trauriges Lächeln gleich dem schwarzen Wasser in der Tiefe eines Brunnens. Sie strich mir mit der Hand über die Wange und sagte: »Du sprichst schöne Worte, Sinuhe, mein Freund. Warum sollte ich dir also nicht gestehen, daß mein Herz sich nach dir und meine Hände sich nach den deinigen gesehnt haben, wenn ich nachts allein auf meiner Matte lag? Jedesmal, wenn mir ein Mann unter der Wirkung des ›Krokodilschwanzes‹ Torheiten zu sagen begann, mußte ich an dich denken und wurde traurig. Aber in dem goldenen Haus des Pharao gibt es gewiß viele schöne Frauen, und als Hofarzt hast du wohl deine Freizeit gewissenhaft zu ihrer Heilung ausgenützt.«
Es ist wahr, daß ich mich mit einigen Hofdamen ergötzt hatte, die mich in ihrer Langeweile aufgesucht und meinen ärztlichen Rat erbeten hatten; denn ihre Haut war glatt wie die Schale einer Frucht und weich wie Daunen, und besonders im Winter ist es wärmer, zu zweit als allein zu liegen. Doch all das war so bedeutungslos und nichtig gewesen, daß ich es bis jetzt nicht einmal in meinem Buch erwähnt habe, weil es spurlos an mir vorübergegangen war. Deshalb sagte ich: »Merit, wenn es auch wahr ist, daß ich nicht immer allein geschlafen habe, so bist du doch immer noch meine einzige Freundin.« Der »Krokodilschwanz« begann seine Wirkung auf mich auszuüben, mein Leib ward so jung wie mein Herz, und ein süßes Feuer floß mir durch die Adern, als ich zu ihr sprach: »Gewiß haben manche Männer in dieser Zeit deine Matte mit dir geteilt; aber du tust am besten daran, sie vor mir zu warnen, solange ich in Theben weile. Denn im Zorn bin ich ein gewalttätiger Mensch, und als ich gegen die Chabiri kämpfte, nannten mich die Soldaten Haremhabs den ›Sohn des Wildesels ‹.« Sie hob die Hand, als hätte sie Angst, und sagte: »Gerade das habe ich sehr gefürchtet. Kaptah hat mir von
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