Sinuhe der Ägypter
hängen und ihre Leichen den Krokodilen zum Fraß vorwerfen lassen, nachdem er sie zuvor nicht des Märchenerzählens, sondern anderer Verbrechen bezichtigt hatte.«
Merit hielt meine Hand, lächelte und erzählte weiterhin: »Auch vielerlei Prophezeiungen werden in Theben berichtet. Wo immer zwei Menschen zusammentreffen, erzählen sie einander von Vorhersagen und schlechten Vorzeichen; denn wie du weißt, steigen die Getreidepreise immer mehr, das arme Volk hungert, und die Steuern sind eine schwere Last für arm und reich. Andere Prophezeiungen sprechen von noch schlimmeren Dingen, die kommen werden; mir graut vor all den Schrecknissen, die Ägypten bevorstehen.«
Da entzog ich ihr meine Hand und fühlte, daß sie meinem Herzen fremd war. Der »Krokodilschwanz« hatte sich längst aus meinem Gehirn verflüchtigt, weshalb der Kopf mich schmerzte und mir übel zumute war, und ihre Einfalt und Halsstarrigkeit machten es mir nicht leichter. Aufeinander erbost, kehrten wir in die Weinstube »Zum Krokodilschwanz« zurück, und ich wußte nun, daß Pharao Echnaton die Wahrheit gesprochen hatte, als er sagte: »Wahrlich, Aton wird das Kind von seiner Mutter und den Mann von der Schwester seines Herzens trennen, bis sich sein Reich auf Erden verwirklicht hat.« Ich aber wollte nicht Atons wegen von Merit getrennt werden, und deshalb war ich äußerst schlechter Laune, bis ich am Abend mit Kaptah zusammentraf.
3
Niemand aber konnte beim Anblick Kaptahs übellaunig bleiben, wie er durch die Tür der Schenke hereingerollt kam, aufgebläht und massig wie ein Mutterschwein und so dick, daß er sich nur mit der Seite voran durch die Türöffnung zu zwängen vermochte. Sein Gesicht war rund wie der Vollmond, glänzte von kostbarem Öl und Schweiß, auf dem Haupt trug er eine vornehme blaue Perücke, und das blinde Auge war mit einer goldenen Scheibe verdeckt. Auch trug er nicht mehr syrische Gewänder, sondern ägyptische, von der feinsten Schneiderin Thebens angefertigte Kleider, und schwere Goldreifen klirrten an seinem Hals, seinen Handgelenken und geschwollenen Fußristen.
Als er mich entdeckte, stieß er einen lauten Ruf aus, hob die Arme zum Zeichen der Verwunderung und Freude, verneigte sich dann, streckte die Hände in Kniehöhe vor, was ihm seines Bauches wegen allerdings große Mühe bereitete, und sagte: »Gesegnet sei der Tag, der meinen Herrn nach Hause bringt!« Dann weinte er vor Rührung, warf sich auf die Knie, umschlang meine Beine und jammerte laut, so daß ich trotz des königlichen Linnens und der Goldreifen, trotz des kostbaren Öles und der blauen Perücke den alten Kaptah wiedererkannte. Deshalb hob ich ihn bei den Armen auf, umarmte ihn und legte meine Nase an seine Schultern und Wangen; dabei war mir, als hätte ich die Arme um einen fetten Stier geschlungen und warmes Brot gerochen, so stark haftete der Duft der Getreidebörse an ihm. Auch er beroch höflich meine Schultern, trocknete seine Tränen, lachte laut und rief: »Das ist ein großer Freudentag für mich! Darum spende ich einem jeden, der in diesem Augenblick in meinem Hause sitzt, einen ›Krokodilschwanz‹. Wenn aber jemand einen zweiten haben will, muß er ihn selbst bezahlen.«
Nach diesen Worten führte er mich in ein Hinterzimmer, lud mich ein, auf weichen Teppichen Platz zu nehmen, gestattete Merit, neben mir zu sitzen, und ließ mir durch Sklaven und Diener das Beste, was das Haus hergab, auftischen. Seine Weine kamen denjenigen des Pharao gleich, und seine Bratgans schmeckte, wie sie nur in Theben und sonst in ganz Ägypten nicht schmecken kann, weil diese Tiere mit faulen Fischen gefüttert werden, die dem Fleisch ein unsäglich feines Aroma verleihen. Nachdem wir gegessen und getrunken hatten, sagte er:
»Sinuhe, mein Herr, ich hoffe, du hast alle Schriftstücke und Abrechnungen, die ich in diesen Jahren durch meine Schreiber aufsetzen und dir nach Achetaton senden ließ, genau durchgelesen. Vielleicht gestattest du mir auch, diese Mahlzeit mit dem Wein und der Gans und ebenso die ›Krokodilschwänze‹, die ich in der Freude des Wiedersehens meinen Kumpanen in der Schenke anbot, auf die Rechnung der Geschäftsunkosten zu übertragen. Dies geschieht keineswegs zu deinem Schaden, sondern vielmehr zu deinem Vorteil; denn es bereitet mir viel Scherereien, die Steuereintreiber des Pharao bei deiner Einschätzung hinters Licht zu führen, obgleich ich dabei auch ein wenig für mich selbst beiseite bringen kann.«
Ich sagte:
Weitere Kostenlose Bücher