Sinuhe der Ägypter
auch noch ein wenig Freude braucht. Aber ich tue es nicht etwa aus Neugier wie die verdorbenen Hofdamen, welche die Neger etwa so genießen, wie einer, der alles versucht hat und jeder Kost überdrüssig geworden ist, behauptet, angefaultes Fleisch sei die köstlichste Nahrung. Nein, nicht aus diesem Grunde liebe ich meine Neger; denn mein Blut ist noch jung und rot und bedarf keiner künstlichen Reize: die Neger bedeuten für mich ein Geheimnis, das mich den warmen Quellen des Lebens, der Erde, der Sonne und den Tieren näherbringt. Ich bitte dich, dieses Geständnis nicht andern zu verraten; wenn du es aber trotzdem tust, schadet es mir schließlich auch nicht, weil ich ja sagen kann, du lügst. Und was das Volk betrifft, glaubt es alles, was über mich gesagt wird, und noch viel mehr dazu. Deshalb kann mein Ansehen im Volk nicht mehr leiden, und es ist daher gleichgültig, was du dem Volk erzählst. Dennoch hoffe ich, du werdest schweigen, weil du ein guter Mensch bist, was ich selbst keineswegs bin.«
Ihre Miene verfinsterte sich zusehends; auch sprach sie nicht mehr dem Bier zu, sondern begann wieder, an ihrer bunten Matte zu flechten. Ich aber starrte auf ihre dunklen Finger, welche die Binsen knüpften, weil ich ihr nicht in die Augen zu blicken wagte. Und da ich schwieg und nichts versprach, fuhr sie fort:
»Mit Güte erreicht der Mensch nichts; das einzige, was in der Welt etwas zu bedeuten hat, ist Macht. Diejenigen aber, die zur Macht geboren werden, sehen deren Wert nicht ein, und nur wer gleich mir mit Mist zwischen den Zehen geboren wurde, versteht sie gebührend zu schätzen. Wahrlich, Sinuhe, ich kenne den Wert der Macht! Alles, was ich getan, betrieb ich ihretwegen und um sie meinem Sohn und meinem Enkel zu bewahren, damit mein Fleisch und Blut auf dem goldenen Thron der Pharaonen weiterlebe. Zu diesem Zwecke bin ich vor keiner Tat zurückgescheut. Vielleicht sind meine Handlungen vor den Göttern böse; aber offen gestanden, kümmere ich mich nicht sehr um die Götter, weil die Pharaonen über den Göttern stehen. Und schließlich gibt es überhaupt keine guten oder bösen Taten, sondern gut ist, was gelingt – und böse, was mißlingt und ruchbar wird. Trotzdem zittert manchmal mein Herz und werden meine Gedärme zu Wasser, wenn ich an meine Handlungen denke; denn ich bin nur eine Frau, und alle Frauen sind abergläubisch. Aber ich hoffe, daß meine Neger mir darüber hinweghelfen werden. Besonders schmerzt es mich, Nofretete eine Tochter nach der anderen gebären zu sehen. Sie hat schon vier Töchter zur Welt gebracht, und jedesmal habe ich dabei das Gefühl, einen Stein hinter mich auf den Weg geworfen zu haben, nur um ihn wieder vor meinen Füßen zu sehen. Das kann ich nicht erklären; aber ich fürchte, durch meine Taten einen Fluch heraufbeschworen zu haben, der vor mir herschleicht.«
Ihre dicken Lippen murmelten einige Beschwörungen, und ihre breiten Füße bewegten sich unruhig; aber ohne Unterlaß flochten ihre dunklen Finger mit Gewandtheit bunte Binsen in die Matte, und ich betrachtete sie dabei und fühlte mein Herz erstarren. Denn sie knüpfte in die Matte Knoten nach Vogelfängerart, die mir bekannt waren. Wahrlich, ich kannte diese Art Knoten! Sie waren von jener seltenen Art aus dem Unteren Lande, wie ich sie als Knabe in meines Vaters Haus an einem rauchgeschwärzten Binsenboot, das über dem Bett meiner Mutter hing, gesehen hatte. Bei dieser Entdeckung fühlte ich mein Herz erlahmen und meine Glieder zu Eis gefrieren: denn in der Nacht meiner Geburt hatte ein milder Westwind geweht, und das Binsenboot war zur Zeit der Überschwemmung den Strom hinabgeschwommen und vom Wind nahe dem Hause meines Vaters ans Ufer getrieben worden. Der Einfall, der mir beim Beobachten der Finger der königlichen Mutter durchs Gehirn zuckte, war so grausam und wahnwitzig, daß ich ihn nicht zu Ende denken wollte, sondern mir sagte, schließlich könne jedermann beim Zusammenknüpfen eines Binsenbootes die Knoten von Vogelfängern machen. Aber die Vogelfänger übten ihren Beruf im Unteren Lande aus, und nie hatte ich in Theben jemand die gleichen Knoten knüpfen sehen. Deshalb wohl hatte ich als Knabe so oft das rauchgeschwärzte Binsenboot betrachtet und die Knoten, die es zusammenhielten, angestaunt, obwohl ich damals noch nicht einmal den Zusammenhang des Binsenbootes mit meinem Schicksal ahnte.
Die große königliche Mutter Teje aber bemerkte nichts von meiner Erstarrung und erwartete auch
Weitere Kostenlose Bücher