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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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sollst du meine Zunge haben, königliche Mutter. Doch möchte ich sie am liebsten noch bis zu meinem Todestag im Mund behalten. Meine Zunge hat nämlich keinen Nutzen davon, gegen dich zu sprechen. Deshalb schenke ich sie dir.«
    Sie murmelte etwas vor sich hin, schielte mich an und sagte: »Warum sollte ich etwas als Geschenk annehmen, das sich bereits in meiner Gewalt befindet? Niemand könnte mich daran hindern, dir die Zunge zu nehmen und auch die Hände, um dir das Niederschreiben ebenso zu verwehren wie das Ausplaudern. Auch könnte ich dich in meine Höhlen auf Besuch zu meinen lieben Negern führen. Vielleicht würdest du nie mehr von dort zurückkehren; denn sie bringen gerne Menschenopfer.«
    Ich aber entgegnete: »Du hast offenbar zu viel Bier getrunken, königliche Mutter. Trink heute abend nicht noch mehr, oder du wirst in deinen Träumen Flußpferde zu sehen bekommen. Meine Zunge gehört dir, und ich zähle darauf, die Matte zu erhalten, wenn sie fertig ist.«
    Ich erhob mich zum Gehen, und sie hinderte mich nicht daran, sondern kicherte nur, wie alte Frauen im Rausche zu tun pflegen, und sagte: »Du belustigst mich sehr, Sinuhe, wahrlich, du belustigst mich sehr!«
    So verließ ich sie und kehrte unbehindert in die Stadt zurück, wo Merit ihre Matte mit mir teilte. Aber ich war nicht mehr ungetrübt glücklich; denn ich dachte an das rußgeschwärzte Binsenboot, das über dem Lager meiner Mutter hing, und an die dunklen Finger, die mit den Knoten eines Vogelfängers Binsen zu einer Matte knüpften, und an den Nachtwind, der die leichten Binsenboote von den Mauern des goldenen Hauses stromabwärts ans jenseitige Ufer nach Theben trieb. An all das dachte ich und war nicht mehr ungetrübt glücklich; denn was das Wissen mehrt, mehrt auch die Sorgen, und diese Sorge hätte mir wahrhaftig erspart bleiben können, da ich schon über die Jugend hinaus war.

    5

    Der offizielle Grund für meine Reise nach Theben war ein Besuch im Haus des Lebens, wo ich seit Jahren nicht mehr gewesen war, obwohl meine Stellung als königlicher Schädelbohrer mich dazu verpflichtete und ich auch befürchtete, daß meine Geschicklichkeit zurückgegangen sein könnte, weil ich in der ganzen Zeit zu Achetaton keinen einzigen Schädel geöffnet hatte. Deshalb ging ich in das Haus des Lebens, hielt dort einige Vorlesungen und unterrichtete die Schüler, die sich für das Sonderfach des menschlichen Schädels ausbilden wollten. Das Haus des Lebens aber war nicht mehr dasselbe wie einst; seine Bedeutung hatte stark abgenommen, weil die Menschen, sogar die Armen, es nicht mehr aufsuchen wollten und die besten Ärzte es verlassen hatten und zur Ausübung ihres Berufes in die Stadt übergesiedelt waren. Ich hatte mir vorgestellt, daß das Wissen befreit und fortgeschritten sei, nachdem die Schüler nicht länger dazu angehalten waren, die Priesterprüfung ersten Grades abzulegen, um in das Haus des Lebens zu gelangen, wo sie niemand mehr daran hinderte, nach dem »Warum?« zu fragen. Aber zu meiner großen Enttäuschung waren die Schüler junge, unentwickelte Menschen, die keine Lust verspürten, nach dem »Warum?« zu fragen, sondern nur den Wunsch hegten, alle Kenntnisse von den Lehrern fertig vorgesetzt zu erhalten und ihren Namen im Buch des Lebens eingeschrieben zu sehen, um mit der Ausübung ihres Berufes beginnen und Silber und Gold verdienen zu können.
    Es gab so wenig Patienten, daß es Wochen dauerte, bevor ich die drei Schädelbohrungen vornehmen konnte, die ich mir zum Ziel gesetzt hatte, um meine Geschicklichkeit zu prüfen. Diese Schädelbohrungen brachten mir viel Ruhm ein, und Ärzte wie Schüler schmeichelten mir und priesen die Sicherheit und Gewandtheit meiner Hände. Ich selbst aber hatte nach den Operationen das beklemmende Gefühl, daß meine Hände nicht mehr so geschickt und unfehlbar arbeiteten wie in meinen besten Tagen. Auch mein Blick war getrübt, so daß ich die Leiden der Menschen nicht mehr so rasch und leicht wie früher erkannte, sondern zahlreiche Fragen stellen und langwierige Untersuchungen vornehmen mußte, um meiner Sache sicher zu sein. Deshalb empfing ich auch zu Hause täglich Patienten und heilte sie, ohne Geschenke dafür zu verlangen: nur um meine einstige Geschicklichkeit wieder zu erlangen.
    Jedenfalls aber öffnete ich also im Haus des Lebens drei Schädel. Den einen operierte ich aus Barmherzigkeit, weil der Kranke unheilbar war und unerträgliche Qualen litt. Die beiden anderen Fälle

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