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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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verächtlich schnob. Ich weiß nicht, ob diese Mahlzeit im früheren Haus des Kupferschmiedes etwas besonders Denkwürdiges war; aber ich habe um meiner selbst willen davon erzählt, weil ich mich gerade in jenem Augenblick glücklich fühlte und sagte: »Bleib stehen, Wasseruhr! Halt ein in deinem Laufe, Wasser! Dies ist ein guter Augenblick, ich will nicht, daß die Zeit weiterrinnt, und ich möchte, daß dieser Augenblick nie vergehe!«
    Während wir aßen, hatten sich Leute auf meinem Hof versammelt. Die Bewohner des Armenviertels hatten ihre besten Kleider angetan und sich die Gesichter eingerieben, als wäre es ein heiliger Tag. Sie kamen mich aufsuchen und mir ihre Leiden klagen. Sie klagten: »Wir haben dich sehr vermißt, Sinuhe! Solange du unter uns weiltest, schätzten wir dich nicht hoch genug; erst als du fort warst, merkten wir, wieviel Gutes du uns erwiesen und wieviel wir mit dir verloren.«
    Sie brachten mir Geschenke, die allerdings nur unerheblich und anspruchslos waren; denn durch das Eingreifen des Gottes des Pharao Echnaton waren sie ärmer als je zuvor geworden. Einer brachte mir ein Maß Graupen, ein anderer einen Vogel, den er mit einem Wurf holz erlegt hatte, ein dritter schenkt€ mir getrocknete Datteln, und ein vierter hatte nichts als eine Blume anzubieten; und als ich schließlich die Blumenfülle auf meinem Hofe sah, wunderte ich mich nicht mehr darüber, daß die Beete an der Widderstraße einen so kahlen, geplünderten Eindruck machten. Unter den Besuchern befand sich auch der alte Schreiber mit seinem von dem Geschwür schiefgedrückten Kopf, der zu meinem Erstaunen immer noch am Leben war. Auch der Sklave, dessen Finger ich geheilt hatte, kam und zeigte mir stolz, wie gut er sie wieder bewegen konnte; die Graupen erhielt ich übrigens von ihm, denn er arbeitete immer noch in der Mühle, wo er sie stehlen konnte. Und eine gewisse Mutter zeigte mir ihren Sohn, der groß und kräftig geworden war und ein blaues Auge und Schrammen an den Beinen hatte und stolz prahlte, er könne jeden gleichaltrigen Jungen der Nachbarschaft verhauen. Ebenso tauchte das Freudenmädchen auf, dessen Augen ich einst geheilt und das mir den lästigen Dienst erwiesen, sämtliche Genossinnen aus dem Freudenhaus zu mir zu schicken, damit ich ihnen alle entstellenden Muttermale und Warzen wegschneide. Alle brachten mir Geschenke und sagten: »Verschmähe unsere Gaben nicht, Sinuhe, obgleich du königlicher Arzt bist und in dem goldenen Haus des Pharao wohnst. Dein Anblick erfreut unser Herz, wenn du nur nicht mit uns von Aton zu reden anfängst!«
    Und ich sprach mit ihnen nicht über Aton, sondern empfing sie der Reihe nach, hörte ihre Klagen an, verschrieb ihnen Arzneien gegen ihre Leiden und heilte sie. Um mir beizustehen, zog Merit ihr schönes Gewand aus, damit es nicht befleckt werde; sie war mir behilflich, indem sie Geschwüre auswusch, mein Messer im Feuer läuterte und Betäubungsmittel für die Patienten mischte, denen ich Zähne ziehen mußte. Ich freute mich jedesmal, wenn ich sie betrachtete, was ich während der Arbeit des öfteren tat. Denn sie war schön anzusehen, ihr Leib war vollschlank, ihre Haltung stolz, und sie schämte sich nicht, sich wie die Frauen des Volkes zum Arbeiten ihrer Kleider zu entledigen. Keiner meiner Patienten wunderte sich darüber, weil alle mit ihren Leiden genug zu tun hatten.
    So verstrich mir die Zeit, während ich wie früher Kranke empfing und mit ihnen redete, und ich freute mich über mein Wissen, das mir erlaubte, ihnen zu helfen; und freute mich auch darüber, während der Arbeit Merit, die meine Freundin war, betrachten zu dürfen; und ich atmete mehrmals tief auf und sagte: »Halt ein in deinem Lauf, Wasseruhr, und hemme deinen Fluß, o Wasser: denn die Augenblicke können nicht lange so schön bleiben.« Auf diese Weise vergaß ich ganz, daß ich in das goldene Haus gehen sollte, wo mein Besuch der großen königlichen Mutter bereits gemeldet war. Aber ich glaube, daß ich es absichtlich vergaß, weil ich so glücklich war.
    Als die Schatten schließlich länger wurden, leerte sich mein Hof, Merit goß mir Wasser über die Hände, und wir halfen uns gegenseitig, uns zu reinigen, was ich gerne tat, und kleideten uns an. Doch als ich mit der Hand ihre Wange und mit dem Mund ihre Lippen berühren wollte, stieß sie mich von sich und sagte: »Eile zu deiner Hexe, Sinuhe, und vergeude nicht unnütz Zeit, damit du vor der Nacht zurückkehrst! Denn ich glaube,

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