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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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hingegen waren interessant und erforderten meine ganze Gewandtheit. Der erste war ein Mann, der sich ein paar Jahre zuvor an einem heißen Sommertag mit der Frau eines anderen Mannes belustigt und dabei vor diesem Reißaus genommen hatte. Bei der Flucht war er vom Dach des Hauses kopfüber auf die Straße hinuntergefallen. Zwar hatte er, ohne merkbare Verletzungen davongetragen zu haben, das Bewußtsein wiedererlangt, aber nach einiger Zeit wurde er von der heiligen Krankheit befallen und bekam zahlreiche Anfälle, die sich immer noch wiederholten, sobald er Wein trank. Obschon er von Wahnvorstellungen verschont blieb, stieß er mit bösartiger Stimme Schreie aus, strampelte, schlug um sich, biß sich in die Zunge und ließ sein Wasser laufen. Er fürchtete sich so sehr vor diesen Anfällen, daß er ohne Zögern auf die Operation einging und mich sogar selbst darum bat. Deshalb willigte ich ein, ihm den Schädel zu öffnen. Auf Anregung der Ärzte im Haus des Lebens zog ich einen Blutstiller hinzu, obwohl ich nicht an solche gewöhnt war, sondern mich mehr auf meine eigene Fähigkeit zu verlassen pflegte. Dieser Blutstiller war noch stumpfsinniger und schläfriger als der einst im goldenen Haus des Pharao verschiedene, von dem ich früher erzählt habe. Während der ganzen Operation mußte man ihn schütteln und puffen, damit er sich wachhalte und seiner Aufgabe entsinne; trotzdem sickerte das Blut wiederholt aus der Schnittwunde. Jedenfalls öffnete ich den ganzen Schädel des Mannes und sah, daß das Gehirn an vielen Stellen von gestocktem Blut geschwärzt war. Deshalb dauerte die Säuberung lange; auch konnte ich nicht das ganze Gehirn reinigen, ohne sein Leben zu gefährden. Allerdings befiel ihn die heilige Krankheit nicht mehr – denn er starb wie üblich am dritten Tag nach der Operation; dennoch wurde gerade diese Operation als besonders geglückt betrachtet, meine Geschicklichkeit höchlich gepriesen, und die Schüler merkten sich alles, was ich tat und ihnen erklärte.
    Der zweite Fall war an und für sich einfach; denn der Patient war ein Knabe, den die Wächter bewußtlos, ausgeplündert und mit zerschlagenem Kopf, sterbend auf der Straße gefunden hatten. Zufällig befand ich mich im Haus des Lebens, als die Wächter ihn dorthin brachten; ein Eingriff war keine gewagte Sache, weil alle überzeugt waren, daß er ohnehin sterben würde und kein Arzt sich seiner annehmen wollte. Deshalb öffnete ich ihm so rasch wie möglich den zerschmetterten Schädel, entfernte die Knochensplitter aus seinem Gehirn und verschloß das Loch in seinem Kopf mit geläutertem Silber. Er war geheilt und lebte noch, als ich Theben zwei Wochen später verließ; doch konnte er die Arme nicht gut bewegen, und seine Hände und Fußsohlen hatten für das Kitzeln mit einer Feder kein Gefühl mehr. Immerhin nahm ich an, er könne mit der Zeit gänzlich genesen. Diese Schädelbohrung erregte jedoch nicht das gleiche Aufsehen wie die Operation an dem Mann mit der heiligen Krankheit: alle fanden ihr Gelingen natürlich und selbstverständlich und bewunderten bloß die Gewandtheit meiner Hände. In einer Hinsicht war der Fall trotzdem ungewöhnlich: die Art der Wunde und die große Eile erlaubten mir nicht, dem Kranken den Kopf vor dem öffnen zu rasieren; nach dem Zusammennähen der Kopfhaut über der Silberplatte stand das Haar wieder wie früher auf seinem Haupt, und niemand konnte darunter die Operationswunde entdecken.
    Begegnete man mir meiner Würde wegen im Haus des Lebens auch mit Ehrfurcht, so wichen mir die alten Ärzte doch aus und trauten sich nicht, offen und vertraulich mit mir zu reden; denn ich kam aus Achetaton, sie aber befanden sich ihrer Kleinmütigkeit wegen immer noch in der Gewalt des falschen Gottes. Ich sprach mit ihnen nicht über Aton, sondern bloß über berufliche Fragen. Tag für Tag suchten sie meine Gesinnung zu erforschen und beschnüffelten mich – ungefähr wie ein Hund auf der Suche nach einem Gegenstand auf dem Boden schnuppert –, bis mich ihr Gebaren schließlich zu wundern begann. Nach der dritten Schädelbohrung kam ein Arzt, der besonders weise und mit dem Messer geschickt war, zu mir und sprach:
    »Königlicher Sinuhe, du hast gewiß bemerkt, daß das Haus des Lebens leerer als früher ist und daß man uns nicht mehr so häufig wie einst aufsucht, obgleich es in Theben heute nicht weniger, ja, eher mehr Kranke gibt. Du hast viele Länder bereist, Sinuhe, und viele Heilungen gesehen, aber ich

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