Sinuhe der Ägypter
Stimme: »Gewiß, er hat sich offenbart!« Er sah dem Priester gerade in die Augen, ich aber sagte nichts, und es war mir, als hätte eine Faust mein Herz umklammert, denn die Worte meiner Kameraden dünkten mich eine Lästerung.
Metufer sagte frech: »Auch ich habe gewacht und gebetet, um der Weihe würdig zu werden, denn die nächste Nacht habe ich anderes zu tun, als hier zu verweilen. Auch mir hat sich Ammon offenbart, was der Priester bezeugen kann, und er tat es in der Gestalt eines großen Weinkruges und sprach zu mir von vielen heiligen Dingen, die hier zu wiederholen mir nicht ansteht, aber seine Worte waren süß wie Wein in meinem Munde, so daß mich bis zum Morgengrauen nach immer neuem dürstete.«
Da faßte Moses Mut und sagte: »Mir offenbarte er sich in der Gestalt seines Sohnes Horus, setzte sich wie ein Sperber auf meine Achsel und sprach: ›Gesegnet seist du, Moses, gesegnet deine Familie, gesegnet auch dein Werk, auf daß du einst in einem Hause mit zwei Toren sitzen und über zahlreiche Diener befehlen mögest.‹ So sprach er.«
Nun beeilten sich auch die anderen, zu berichten, was Ammon zu ihnen gesprochen habe, und sie redeten voller Eifer durcheinander, und der Priester hörte lächelnd zu und nickte. Ich weiß nicht, ob sie Träume, die sie gehabt, erzählten oder einfach logen. Ich weiß nur, daß ich einsam und verlassen dastand und nichts zu sagen hatte.
Schließlich wandte sich der Priester zu mir, runzelte seine rasierten Brauen und fragte streng: »Und du, Sinuhe, bist du nicht würdig, geweiht zu werden? Hast du ihn nicht wenigstens, als eine kleine Maus gesehen, denn in mancherlei Gestalt kann er sich offenbaren?«
Mein Eintritt in das Haus des Lebens stand auf dem Spiel, deshalb ermannte ich mich und sagte: »Im Morgengrauen sah ich den heiligen Vorhang sich bewegen, etwas anderes aber habe ich nicht gesehen, noch hat Ammon mit mir gesprochen.«
Da brachen alle in Lachen aus, und Metufer schlug sich dabei auf die Knie und sagte zum Priester: »Er ist ein Einfaltspinsel.« Er zupfte den Priester am Ärmel, der vom Wein naß war, und flüsterte ihm, mit einem Blick auf mich, etwas ins Ohr.
Von neuem betrachtete mich der Priester streng und sagte: »Wenn du die Stimme Ammons nicht vernommen hast, kann ich dich nicht weihen lassen. Doch dem soll rasch abgeholfen werden, denn ich will glauben, daß du ein braver Jüngling bist und daß deine Absichten redlich sind.« Nach diesen Worten verschwand er hinter dem Allerheiligsten. Metufer kam auf mich zu, und wie er mein unglückseliges Gesicht sah, sagte er freundlich: »Fürchte dich nicht!«
Im nächsten Augenblick jedoch schraken wir alle zusammen, denn durch die Dämmerung der Halle erscholl eine übernatürliche Stimme, die keiner menschlichen glich, und sie kam von überall, von der Decke, von den Wänden, zwischen den Säulen her, so daß wir um uns blickten, um ihren Ursprung zu ermitteln. Die Stimme sagte: »Sinuhe, Sinuhe, du Schlafmütze, wo bist du? Tritt rasch vor mein Antlitz und verbeuge dich vor mir, denn ich habe Eile und kann nicht den ganzen Tag auf dich warten.«
Metufer zog den Vorhang zur Seite, stieß mich in das Allerheiligste hinein, packte mich beim Genick und zwang mich zu Boden in jene Verbeugung, mit der man Götter und Pharaonen grüßt. Ich aber hob sofort mein Haupt und sah, daß das Allerheiligste von hellem Tageslicht durchströmt war, und die Stimme sprach aus dem Munde Ammons:
»Sinuhe, Sinuhe, du Schwein und Pavian! Warst du betrunken, daß du schliefst, als ich dich rief? In einen Schlammbrunnen solltest du geworfen werden, um für den Rest deines Lebens Schlick zu essen, doch ich habe Erbarmen mit deiner Jugend, obwohl du dumm, faul und schmutzig bist, denn ich erbarme mich eines jeden, der an mich glaubt, während ich die anderen in die Klüfte des Totenreiches stürze.«
Noch vieles andere sprach die Stimme unter Rufen, Schmähungen und Flüchen. Aber ich erinnere mich nicht mehr an alles und will mich dessen auch nicht entsinnen, so bitter war mir ob der Demütigung zumute, denn mein aufmerksames Lauschen ließ mich durch das Dröhnen der übernatürlichen Stimme hindurch die Stimme des Priesters erkennen, und diese Entdeckung erschütterte und entsetzte mich derart, daß ich nicht mehr hinzuhören vermochte. Ich blieb noch vor dem Bildwerk Ammons liegen, als die Stimme bereits verstummt war, bis der Priester kam und mich mit einem Fußtritt zur Seite schob, und meine Kameraden eilends
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