Sinuhe der Ägypter
ein Gefühl, als ob das Gewicht der Steinkammer meine Brust zu ersticken drohe.
»Haltet Wache und betet vor dem Vorhang«, sagte der Priester und hielt sich am Saum des Vorhangs, weil er nicht sicher auf den Beinen stand. »Vielleicht wird er euch rufen, denn er pflegt sich denen, die die Weihe empfangen sollen, zu offenbaren, sie beim Namen zu rufen und zu ihnen zu sprechen, falls sie würdig dazu sind.« Er machte rasch die heiligen Zeichen mit der Hand, murmelte den göttlichen Namen Ammons und zog den Vorhang wieder zu, ohne sich auch nur zu verbeugen oder die Hände in Kniehöhe vorzustrecken.
Damit ging er und ließ uns sieben allein in der dunklen Vorhalle des abgeschlossenen Bezirks. Von dem Steinboden stieg eine furchtbare Kälte in unsere nackten Füße. Doch als er gegangen war, holte Moses unter seinem Achseltuch eine Lampe hervor, und Ahmose ging kaltblütig in das Allerheiligste hinein und holte von Ammons heiligem Feuer, um unsere Lampen anzuzünden.
»Verrückt wären wir, hier im Dunkel zu sitzen«, erklärte Moses, und wir fühlten uns sicher, obwohl wir uns alle ein wenig fürchteten. Ahmose holte Brot und Fleisch hervor, und Mata und Nefru begannen mit Würfeln auf dem Steinboden zu spielen und riefen jeden ihrer Würfe mit so lauter Stimme aus, daß sie in der Tempelhalle widerhallten. Ahmose aber rollte sich, nachdem er gegessen hatte, in sein Achseltuch ein und streckte sich, über den harten Stein fluchend, zur Ruhe aus, und kurz darauf legten sich Sinufer und Nefru neben ihn, um sich gegenseitig im Schlaf warmzuhalten.
Ich aber war jung und wachte, obwohl ich wußte, daß der Priester einen Krug Wein von Metufer bekommen und ihn mit ein paar anderen vornehmen Priesterkandidaten in seine Kammer eingeladen hatte und uns daher nicht überraschen werde. Ich wachte, obgleich ich aus den Erzählungen der anderen wußte, daß die vor ihrer Weihe Stehenden stets im geheimen speisten, spielten und schliefen. Mata begann vom Tempel der löwenhäuptigen Sehkmet zu erzählen, wo die göttliche Tochter Ammons sich den Kriegerkönigen zu offenbaren und sie in die Arme zu schließen pflegte. Dieser Tempel befand sich hinter dem Ammontempel, hatte aber sein Ansehen verloren. Sei Jahrzehnten hatte kein Pharao ihn mehr besucht, und das Unkraut wucherte zwischen den Steinplatten des Vorhofes. Mata aber erklärte, daß er nichts dagegen einzuwenden hätte, dort zu wachen und in diesem Augenblick die nackte Göttin zu umarmen, und Nefru würfelte und gähnte und grämte sich, daß er nicht so klug gewesen war, Wein mitzubringen. Alsdann legten sich die beiden schlafen, und bald war ich der einzige, der wachte.
Die Nacht wurde mir lang, und während die andern schliefen, war ich von tiefer Andacht und Sehnsucht ergriffen, weil ich noch so jung war, und ich dachte daran, daß ich mich rein erhalten und alle die alten Gebote erfüllt hatte, damit Ammon sich mir offenbaren sollte. Ich wiederholte seine heiligen Namen und lauschte mit gespannten Sinnen jedem Rascheln, doch der Tempel blieb leer und kalt. Im Morgengrauen begann der Vorhang des Allerheiligsten sich im Luftzug zu bewegen, sonst aber geschah nichts. Als das Tageslicht in die Tempelhalle fiel, löschte ich, unsäglich enttäuscht, die Lampe aus und weckte meine Kameraden.
Soldaten stießen ins Horn, die Wache auf den Mauern wurde abgelöst, und aus den Vorhöfen ließ sich ein leises Gemurmel wie das Rauschen ferner Wasser vernehmen und verkündete uns den Beginn des Tages und der Arbeit im Tempel. Schließlich kam der Priester eilenden Schrittes und mit ihm, zu meiner Verwunderung, Metufer. Beide rochen stark nach Wein, und sie kamen Arm in Arm daher, und der Priester schwang den Schlüssel der heiligen Schreine in der Hand und leierte, von Metufer unterstützt, die heiligen Formeln, bevor er uns begrüßte.
»Ihr Priesterkandidaten Mata, Moses, Bek, Sinufer, Nefrie, Ahmose und Sinuhe«, sprach der Priester. »Habt ihr gewacht und gebetet, wie es vorgeschrieben ist, um der Weihe würdig zu werden?«
»Wir haben gewacht und gebetet«, antworteten wir im Chor.
»Hat sich Ammon, seines Versprechens gemäß, euch offenbart?« fragte der Priester rülpsend und betrachtete uns mit flackerndem Blick. Wir schielten uns an und zögerten. Schließlich sagte Moses unsicher: »Er hat sich, seinem Versprechen gemäß, offenbart.« Einer nach dem anderen sprachen meine Kameraden: »Er hat sich offenbart.« Als letzter sagte Ahmose, andächtig und mit fester
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