Sinuhe der Ägypter
geruht.
Doch die Zudringlichkeit Mehunefers weckte mich wieder zum Bewußtsein, und ich mußte mich mit ganzer Willenskraft zusammennehmen, um ihr Gerede und ihre Liebkosungen zu ertragen. Ihre Hände und Worte waren mir widerwärtig, wie mich überhaupt alles in dem goldenen Haus von da an abstoßend dünkte. Mein Verstand aber zwang mich, ihre Annäherungen über mich ergehen zu lassen, und ich überredete sie, weiterzutrinken, damit sie sich noch mehr berausche und alles, was sie mir erzählt hatte, vergesse. Völlig betrunken aber wurde sie derart unausstehlich, daß ich schließlich Mohnsaft in ihren Wein mischen mußte, um sie einzuschläfern und loszuwerden.
Als ich endlich ihr Gemach und das Frauenhaus verließ, war es bereits Nacht; die Wächter und Diener des goldenen Hauses zeigten auf mich und kicherten, aber ich glaubte, sie täten es nur, weil meine Beine wankten, meine Augen starr und meine Kleider zerknittert waren. In meinem Hause aber wartete Merit auf mich, wach und unruhig wegen meines langen Ausbleibens und neugierig, etwas über den Tod der königlichen Mutter zu erfahren. Als sie mich erblickte, führte sie die Hände zum Mund, und Muti tat das gleiche, während sie beide Blicke miteinander wechselten. Schließlich sprach Muti mit bitterer Stimme zu Merit: »Habe ich dir nicht tausendmal gesagt, alle Männer seien gleich und man könne sich nicht auf sie verlassen?«
Ich aber war müde und wollte mit meinen Gedanken allein sein. Deshalb sagte ich ärgerlich: »Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir und mag euer Gefasel nicht anhören.« Da wurden Merits Augen hart und ihr Gesicht finster vor Zorn; sie hielt mir einen silbernen Spiegel vor und sagte: »Schau dein Gesicht an, Sinuhe! Ich habe dir keineswegs verboten, dich mit fremden Frauen zu ergötzen; aber du könntest es wenigstens heimlich tun, um nicht mein Herz zu kränken. Auch kannst du nicht behaupten, dieses Haus heute einsam und traurig verlassen zu haben.«
Ich betrachtete mein Gesicht und erschrak bis ins Innerste; denn es war mit Mehunefers Schminke befleckt; ihr Mund hatte rote Male auf meinen Wangen, meinem Hals und meinen Schläfen hinterlassen. Wegen ihrer Häßlichkeit und den Runzeln hatte sie nämlich die Schminke so dick aufgetragen, daß die Farbe ihres Gesichts dem Bewurf einer Wand glich, und in ihrer Eitelkeit hatte sie überdies nach jedem Schluck Wein die Lippen neu bemalt. Deshalb sah mein Gesicht wie dasjenige eines Pestkranken aus. Ich schämte mich von ganzem Herzen und säuberte es rasch, während mir Merit unbarmherzig den Spiegel vorhielt.
Nachdem ich mein Gesicht mit Öl gewaschen, sagte ich reuevoll: »Du legst das alles wirklich falsch aus, liebste Merit. Laß mich es dir erklären!«
Aber sie betrachtete mich unfreundlich und entgegnete: »Ich brauche keine Erklärungen, Sinuhe! Ich will nicht, daß du meinetwegen deinen Mund mit Lügen besudelst; denn es ist völlig unmöglich, der Sache eine falsche Deutung zu geben, wenn man deine verschmierte Schnauze gesehen hat. Du glaubtest wohl, ich sei nicht mehr wach, um auf dich zu warten, da du dir nicht einmal die Mühe nahmst, die Spuren deines Tuns aus dem Gesicht zu wischen. Oder wolltest du etwa mit deinen Eroberungen vor mir prahlen und mir beweisen, daß die Frauen des goldenen Hauses wie schwankende Rohre im Wind vor dir sind? Oder bist du ganz einfach besoffen wie ein Schwein, daß du nicht einmal mehr verstehst, wie unpassend du auftrittst?«
Ich hatte die größte Mühe, sie zu beruhigen; vor lauter Mitleid mit ihr brach Muti in Tränen aus, bedeckte sich das Gesicht und begab sich in den Kochraum, voll Verachtung für alles, was zur Männerwelt gehört. Wahrlich, ich hatte mehr Mühe, Merit zu beruhigen, als Mehunefer loszuwerden, so daß ich schließlich über alle Weiber zu wettern begann und sagte:
»Merit, du kennst mich besser als irgendein anderer Mensch und dürftest mir daher vertrauen! Glaube mir also, wenn ich dir beteure, daß eine Erklärung von mir dein volles Verständnis finden würde; aber das Geheimnis betrifft vielleicht nicht nur mich, sondern auch das goldene Haus, und daher ist es um deiner selbst willen besser, du kennst es nicht.«
Doch mit einer Zunge, die spitzer als der Stachel einer Wespe war, antwortete sie höhnisch: »Ich glaubte dich zu kennen, Sinuhe; jetzt aber sehe ich, daß es in deinem Herzen Abgründe gibt, die nicht einmal ich ahnen konnte. Aber du tust ohne Zweifel recht daran, die Ehre der Frau zu
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