Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
Vom Netzwerk:
voll süßer Erregung, als wäre ich ein Bräutigam, der im Lenz zu seiner Schwester reist. So ist der Mensch der Sklave seines eigenen Herzens und schließt die Augen vor Dingen, die ihm unbehaglich sind, und glaubt an das, was er hofft. Vom Zauber und schleichenden Schrecken Achetatons befreit, jubelte mein Herz wie ein aus dem Käfig freigelassener Vogel. Denn es ist schwer für einen Menschen, an den Willen eines anderen gekettet zu sein, und jedermann, der in Achetaton lebte, fühlte sich durch den hitzigen, herrischen Willen und die launischen Ausbrüche des Pharao geknechtet. Für mich war er ein Mensch, weil ich sein Arzt war; deshalb fiel mir die Sklaverei noch schwerer als denjenigen, für die er der Pharao war, und vor allem schwerer als denjenigen, für die er ein Gott war und die die Sklaverei des Herzens daher am leichtesten ertrugen.
    Ich jubelte, weil ich wieder mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören, mit eigener Zunge reden und nach meinem eigenen Willen leben durfte. Eine solche Freiheit ist für den Menschen durchaus nicht schädlich; mich machte sie jedenfalls auf dieser Reise stromaufwärts demütig und ließ die Bitterkeit in meinem Herzen schmelzen, so daß ich den Pharao schließlich im rechten Licht sah. Je weiter ich mich von ihm entfernte, um so klarer sah ich ihn, wie er wirklich war, und desto mehr liebte ich ihn und wünschte ihm alles Gute. Je mehr ich mich Theben näherte, um so lebendiger strömten die Erinnerungen auf mich ein und desto größer wurden Pharao Echnaton und sein Aton in meinem Herzen und verdrängten daraus die Schatten aller anderen Götter, auch Ammons.
    So glaubte ich an das, was ich erhoffte, und freute mich in meinem Herzen innig über meine Gedanken und fühlte mich als ein guter, ja als ein besserer Mensch denn viele andere. Wenn ich ehrlich gegen mich selbst sein und der Wahrheit leben will, muß ich gestehen, daß ich mich in meinem Herzen sogar für einen besseren Menschen als Pharao Echnaton hielt, weil ich keinem Menschen absichtlich etwas Böses tat, niemand meinen Glauben aufzuzwingen versuchte und in den Tagen meiner Jugend Arme gepflegt hatte, ohne Geschenke dafür zu verlangen.
    Während meiner Fahrt stromaufwärts und abends, wenn ich am Ufer anlegte, wo ich an Bord übernachtete, entdeckte ich überall ungewollte Spuren von dem Gott des Pharao Echnaton. Obgleich gerade Saatzeit war, lag die Hälfte der ägyptischen Äcker ungepflügt und unbesät, Unkraut und Disteln wucherten auf den Feldern, und die Überschwemmung hatte die Bewässerungsgräben mit Schlamm angefüllt, aber niemand diese gesäubert. Denn Ammon übte seine Macht auf die Menschenherzen aus, vertrieb die Siedler von seinem einstigen Boden und verfluchte auch die Äcker des Pharao, so daß Landwirte und Sklaven sie flohen und sich aus Angst vor Ammons Fluch in den Städten versteckten. Einige Ansiedler aber lebten noch, verängstigt und verbittert, in ihren Hütten, und ich redete mit ihnen und sagte: »Ihr Wahnwitzigen, weshalb pflügt und besät ihr eure Äcker nicht? Ihr müßt ja im Winter Hungers sterben!«
    Sie aber betrachteten mich feindselig, weil meine Kleidung aus feinstem Linnen war, und antworteten: »Warum sollten wir säen, wenn doch das Brot, das auf unseren Äckern wächst, verflucht ist und den, der es verzehrt, umbringt, so wie das fleckige Getreide bereits unsere Kinder getötet hat?« So fern vom wirklichen Leben lag Achetaton, daß ich erst durch diese Siedler erfuhr, daß das fleckige Getreide den Kindern den Tod bringt. Noch nie zuvor hatte ich von einer solchen Krankheit gehört; sie war ansteckend, die Kindermägen waren aufgequollen und die Ärmsten unter traurigen Wehklagen gestorben, da weder die Ärzte noch die vom Volk nach alter Gewohnheit herbeigerufenen Zauberer sie zu retten vermocht hatten. Trotzdem war ich der Ansicht, daß sie eher von den Überschwemmungswassern stammte, die alle ansteckenden Krankheiten mit sich brachten, obgleich dieses eigenartige Übel nur für Kinder, nicht aber für Erwachsene tödlich war. Doch als ich diese Erwachsenen betrachtete, die sich nicht getrauten, ihr Äcker zu besäen, sondern sich lieber dem Hungertod aussetzen, sah ich, daß die Krankheit ihre Herzen hatte absterben lassen. Angesichts all dieser Dinge aber klagte ich nicht mehr Pharao Echnaton, sondern Ammon an, der das Leben der Menschen durch Furcht so vergiftete, daß ihnen der Tod besser als das Leben erschien.
    Während ich so stromaufwärts

Weitere Kostenlose Bücher