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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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Künstler wurden von der seltsamen Hetze ergriffen und zeichneten, malten und modellierten eifriger denn je zuvor, als spürten sie die Zeit entgleiten und wünschten, vor ihrem Ende ihre ganze Kunst auszuschöpfen. Sie übertrieben die Wahrheit derart, daß sie unter ihren Meißeln und Stiften zum Zerrbild wurde, und sie wetteiferten miteinander im Suchen nach immer seltsameren und verstiegeneren Formen für ihre Wahrheit, bis sie schließlich behaupteten, einen Wesenszug oder eine Bewegung durch ein paar Linien oder Punkte ausdrücken zu können. Um den verträumten Ausdruck eines Menschenauges zu schildern, begnügten sie sich mit einer einzigen Bogenlinie, und von Pharao Echnaton zeichneten sie Bilder, wie meines Erachtens nur Menschen, die ihn bitterlich haßten, solche schaffen konnten. Selbst aber waren sie auf ihre Erzeugnisse und Bildwerke riesig stolz und sagten: »Wahrlich, so hat man noch nie zuvor gezeichnet und modelliert! Das ist Wahrheit!«
    Zu meinem Freund Thotmes aber sprach ich: »Pharao Echnaton hat dich aus dem Staub gehoben und zu seinem Freund gemacht. Weshalb formst du also sein Bildnis so, als hassest du ihn bitterlich? Warum hast du auf sein Lager gespuckt und seine Freundschaft geschändet?«
    Thotmes entgegnete: »Mische dich nicht in Dinge, die du nicht verstehst, Sinuhe! Vielleicht hasse ich ihn – aber noch weit mehr hasse ich mich selbst. In meinem Innern brennt der Schaffensdrang, und meine Hände sind noch nie geschickter als jetzt gewesen. Vielleicht schafft der mit sich unzufriedene Künstler im Haß bessere Werke als der selbstzufriedene und von Liebe erfüllte. Alle Farben und Formen und ebenso die Vielfältigkeit gestalte ich aus mir selbst heraus, und jedes von mir geschaffene Bildnis verewigt mich selbst im Stein. Deshalb ist kein Mensch meinesgleichen, und ich bin mehr als alle anderen. Für mich gibt es keine Gesetze, die ich nicht brechen könnte; denn meine Kunst ist über alle Gesetze erhaben, und ich bin mehr Gott als Mensch. Wenn ich Farben und Formen gestalte, wetteifere ich mit Aton und übertreffe ihn sogar; denn alles, was Aton schafft, ist vergänglich, während meine Schöpfungen für die Ewigkeit bewahrt bleiben.«
    Wenn er so sprach, hatte er bereits am Morgen Wein getrunken, und ich verzieh ihm seine Worte, weil die Qual aus seinem Gesicht schrie und ich seinen Augen ansah, daß er unglücklich war.
    Während sich all dies zutrug, wurde die Ernte auf den Äckern eingebracht, stieg und sank der Strom von neuem und ward es Winter; und mit dem Winter kam der Hunger in das Land Ägypten, und niemand wußte mehr, welches neue Unglück der folgende Tag bringen werde. Mit dem Nahen des Winters verbreitete sich auch die Kunde, daß Aziru den Hetitern die meisten Städte Syriens geöffnet habe und daß die leichten Streitwagen der Hetiter durch die Wüste Sinais gefahren, Tanis angegriffen und das Untere Land in der Runde bis zum Strom verheert hatten.

    2

    Als sich diese Nachricht verbreitete, trafen Eje aus Theben und Haremhab aus Memphis in Achetaton ein, um sich mit Pharao Echnaton zu beraten und zu retten, was noch zu retten war. Dieser Beratung wohnte ich als Arzt bei, weil ich befürchtete, daß der Pharao sich ereifern und all des Bösen wegen, das er vernehmen und schlucken mußte, wieder krank werden könnte. Aber er trat verschlossen und kalt auf und hörte Eje und Haremhab an, ohne die Selbstbeherrschung zu verlieren.
    Der Priester Eje wandte sich an ihn und sprach: »Die Speicher des Pharao sind leer, und das Land Kusch hat dieses Jahr nicht wie früher seine Steuern, auf die ich meine ganze Hoffnung setzte, entrichtet. Im Land herrscht große Hungersnot, die Menschen graben die Wurzeln der Wasserpflanzen aus dem Schlamme und verzehren sie; sogar Heuschrecken, Käfer und Frösche werden verschlungen. Viele Menschen sind schon gestorben, und noch mehr werden ihnen folgen; denn auch bei strengster Verteilung reicht das Getreide des Pharao nicht für alle. Das Korn der Kaufleute aber ist zu teuer, als daß die Armen davon kaufen könnten. Eine große Aufregung hat die Menschen befallen, die Landleute flüchten in die Städte, und die Städter ziehen aufs Land, und alle sagen: ›Das ist der Fluch Ammons! Wir leiden wegen des neuen Gottes des Pharao!* Deshalb, Pharao Echnaton, geh einen Vergleich mit den Priestern ein und gib Ammon seine Macht wieder, damit ihm die Menschen Anbetung zollen und Opfer bringen und sich dadurch beruhigen können. Erstatte Ammon

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