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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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Hälse; sie hatten sich so vollgefressen, daß sie nicht mehr zu fliegen vermochten. Auch die Krokodile des Stromes waren so übersättigt, daß sie nicht mehr mit den Schwänzen schlugen, sondern reglos mit weitaufgesperrten Rachen an den Ufern lagen und sich von kleinen Vögeln die Reste ihrer schrecklichen Mahlzeit zwischen den Zähnen herauspicken ließen. Zwischen den Ruinen und den verbrannten Häuserresten schlichen da und dort verängstigte Frauen und Kinder umher, um am Platz ihres einstigen Heimes nach Hausgeräten zu graben; die Waisen erschlagener Sklaven und Träger folgten den Streitwagen des Pharao, um die unverdauten Getreidekörner aus dem Pferdemist herauszuklauben: denn groß war der Hunger in Theben! Ich, Sinuhe, schritt die Uferdämme entlang, die noch nach geronnenem Blut stanken, betrachtete leere Körbe und unbeladene Schiffe und lenkte unbewußt meine Schritte zu den Ruinen des »Krokodilschwanzes«, wo ich an Merit und den kleinen Thoth denken mußte, die Atons und meines törichten Herzens wegen ihr Leben verloren hatten.
    Mein Weg führte mich zu den Überresten des einstigen »Krokodilschwanzes«, und ich gedachte Merits, die einst zu mir gesagt hatte: »Ich bin gewiß nur die Decke über deiner Einsamkeit, wenn ich nicht gerade deine verschlissene Matte bin.« Ich entsann mich auch des kleinen Thoth, der, ohne daß ich es gewußt hatte, mein Sohn war; ich sah ihn vor mir mit den runden Wangen und den kindlichen Gliedern und fühlte, wie er mir den Arm um den Hals schlang und seine Wange an die meinige lehnte. Den beißenden Rauchgeruch in den Nüstern, schritt ich durch den Staub des Hafens und sah immer noch Merits aufgespießten Leib und die zerfleischte Nase und das weiche, blutverklebte Haar des kleinen Thoth. Das alles stand vor meinem inneren Auge, und ich dachte dabei, welch leichten Tod Pharao Echnaton gefunden! Ich sagte mir, es gäbe in der Welt nichts Schrecklicheres und Gefährlicheres als Pharaonenträume, die Blut und Tod säen und höchstens die Krokodile fett machen. Solche Gedanken zogen mir während meiner Wanderung in dem verlassenen Hafenviertel durch den Kopf. Aus der Ferne vernahm mein Ohr gedämpft die Jubelrufe der Menge, die auf dem Tempelplatz Pharao Tutanchamon begrüßte und sich einbildete, dieser verworrene Knabe, der nur von einem schönen Grab träumte, werde die Ungerechtigkeit ausrotten und wieder Frieden und Wohlstand im Lande Kêmet einführen.
    So irrte ich ziellos herum – im Bewußtsein, daß ich wieder einsam und mein Blut in Thoth umsonst vergossen war und nie mehr wiederkehren würde. Ich nährte keine Hoffnung auf Unsterblichkeit oder ewiges Leben mehr, und der Tod dünkte mich bloß Ruhe und Schlaf und erschien mir wie die Wärme eines Kohlenbeckens in kalter Nacht. Der Gott Pharao Echnatons hatte xmich aller Hoffnung und Freude beraubt, und ich wußte, daß alle Götter in dunklen Häusern wohnen, aus denen es keine Rückkehr gibt. Pharao Echnaton hatte den Tod aus meiner Hand getrunken; aber das konnte mir nichts ersetzen, hatte er doch mit dem Tod barmherziges Vergessen für sein Herz geschlürft! Ich aber lebte und konnte nicht vergessen. An meinem Herzen fraß die Bitterkeit wie Lauge, und ich fühlte mich allen Menschen feind und besonders dem Volk, das wie eine Viehherde vor dem Tempel brüllte, aus seinen Erfahrungen nichts gelernt hatte und ebenso töricht und einfältig war wie zuvor.
    Öde wie der Tod wirkten die Ruinen des Hafens. Doch aus einem Haufen leerer Körbe löste sich eine menschliche Gestalt und kroch auf Händen und Knien auf mich zu. Es war ein kleiner, magerer Mann, dessen Glieder bereits in der Kindheit wegen ungenügender Nahrung verkrümmt worden waren. Er befeuchtete sich die Lippen mit seiner schwarz gewordenen Zunge, sah mich aus wilden Augen an und sagte: »Bist du nicht Sinuhe, der königliche Arzt, der im Namen Atons den Armen die Wunden verband?« Er lachte mit schauerlicher Stimme, erhob sich vom Boden, um mit dem Finger auf mich zu zeigen und fortzufahren: »Bist du nicht Sinuhe, der Brot unter das Volk verteilte und sprach: ›Dies ist Atons Brot, nehmet und esset in seinem Namen!‹ Wenn dem so ist, dann gib mir jetzt bei allen Göttern der Unterwelt ein Stückchen Brot! Ich habe mich tagelang vor den Augen der Wächter versteckt gehalten und mich nicht einmal zum Strom hinunter gewagt, um zu trinken. Bei allen Göttern der Unterwelt, gib mir ein Stück Brot! Denn der Speichel in meinem Mund ist

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