Sinuhe der Ägypter
vertrocknet und mein Bauch grün wie Gras.«
Ich aber konnte ihm kein Brot geben, und er erwartete es auch nicht, sondern hatte mich bloß seiner eigenen Erbitterung wegen verhöhnen wollen. Er sagte: »Ich besaß eine Hütte, und wenn sie auch erbärmlich war und nach faulen Fischen stank, so war sie doch mein Eigentum. Ich besaß eine Frau, und wenn sie auch häßlich und durch Entbehrungen ausgemergelt war, so war sie doch meine Frau. Ich besaß Kinder, und wenn sie auch vor meinen Augen hungerten, so waren es doch meine Kinder. Wo aber sind jetzt meine Hütte, meine Frau und meine Kinder? Dein Gott hat sie mir genommen, Sinuhe! Aton, der Allzerstörer, hat sie mir geraubt, und ich besitze nur noch Kot in meinen Händen und muß bald sterben, was mir nicht leid tut.«
Er setzte sich zu meinen Füßen, preßte die Fäuste vor den aufgedunsenen Bauch, starrte mit wilden Augen vor sich hin und flüsterte mir zu: »Sinuhe! Vielleicht war unser Spiel doch seinen Preis wert; denn obgleich meine Kameraden gefallen sind und ich sterben muß, wird unser Gedächtnis vielleicht im Munde des Volkes weiterleben. Vielleicht bleibt unser Andenken in den Herzen derer bestehen, die mit den Händen arbeiten und Stockhiebe zu spüren bekommen, und sie werden sich unser noch erinnern, wenn Aton schon längst vergessen und der verfluchte Name deines Pharao aus allen Inschriften getilgt ist. Vielleicht bleibt eine dunkle Erinnerung an uns im Gemüt des Volkes haften und werden die Kinder schon mit der bitteren Muttermilch das Wissen um uns einschlürfen und von unseren Irrtümern lernen. Dann werden sie bereits von Geburt an das wissen, was wir erst erlernen mußten. Sie werden wissen, daß es keinen Unterschied zwischen Mensch und Mensch gibt, daß das Fell des Reichen und des Edelmannes leicht zerreißt, wenn man es mit dem Messer ritzt, und daß Blut Blut bleibt, ob es nun einem hungrigen oder einem zufriedenen Herzen entströmt. Sie werden wissen, daß sich der Sklave und der Arme weder auf Pharaonen noch auf königliche Ärzte, weder auf Gesetze noch auf die Versprechen der Vornehmen, sondern ausschließlich auf die Kraft ihrer Fäuste verlassen können – und sie werden selbst ihre eigenen Gesetze machen. Wer nicht mit ihnen ist, ist gegen sie; in dieser Beziehung gibt es kein Erbarmen und auch keinen Unterschied zwischen den Menschen. In deinem Herzen, Sinuhe, warst nicht einmal du mit uns! Deshalb warst du gegen uns, obwohl du uns Brot gabst und uns verwirrende Reden über den Aton des Pharao hieltst. Alle Götter bleiben sich gleich und alle Pharaonen und alle Vornehmen ebenso, wenn sie es auch nicht zugeben wollen. Das behaupte ich, Meti, der Fischausweider, und brauche meine Worte nicht zu bereuen, weil ich bald sterben muß und meine Leiche in den Strom geworfen wird. Etwas aber wird von mir auf Erden übrigbleiben: ich werde in der Unruhe der Sklavenherzen sein, in der heimlichen Glut ihrer Augen und in der herben Muttermilch, welche die Kinder der Armen saugen! Ich, Meti, der Fischausweider, werde alles mit meinem Gärstoff durchdringen, bis der letzte große Teig gebacken wird!«
Seine fiebrigen Augen starrten mich an, und seine narbigen Arme umklammerten mir die Knie. Da sank ich in den Staub, hob die Hände und sprach: »Meti, Fischausweider! Ich sehe, daß du dein Messer unter deinen Lumpen birgst. Töte mich also, wenn du mich für schuldig hältst! Töte mich, Meti; denn ich bin meiner Träume überdrüssig und empfinde keine Freude mehr! Töte mich, wenn dies dein Gemüt beruhigt! Denn ich kann dir keinen anderen Dienst mehr erweisen.«
Er zog das Fischmesser aus seinem Gürtel, prüfte es in seiner narbigen Hand und sah mich an, bis sich seine Augen trübten und er das Messer von sich schleuderte. Er sprach: »Jetzt verstehe ich, daß alles Töten nutzlos ist und daß man nichts dadurch gewinnt, weil das Messer blindlings Schuldige wie Unschuldige trifft. Nein, Sinuhe! Vergiß meine Worte, und verzeih mir meine Bosheit! Denn wer sein Messer in einen anderen Menschen stößt, stößt es in seinen Bruder. Vielleicht wußten wir Armen und Sklaven dies in unseren Herzen und vermochten daher nicht zu töten. Deshalb sind wir vielleicht letztlich die wahren Sieger, und jene, die uns das Leben raubten, die Besiegten, weil sie sich selbst dabei verloren haben. Sinuhe, mein Bruder, vielleicht graut einmal der Tag, an dem der Mensch den Menschen als Bruder betrachtet und nicht mehr tötet. Bis dahin seien meine Tränen
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