Sinuhe der Ägypter
zu gut für dich war – einfach weil du ein Mann bist und die du absichtlich in den Tod gestürzt hast, und dies so unfehlbar, als hättest du ihr selbst das Herz mit dem Messer durchbohrt. Auch den kleinen Thoth habe ich beweint, weil ich ihn wie meinen eigenen Sohn geliebt habe und ihm immer Honigkuchen gebacken hatte, um durch Sanftmut seine wilde Mannesnatur zu bändigen. Dir aber ist das alles jedenfalls gleichgültig: du kommst zerschlagen, mit schorfbedecktem’ Gesicht und bettelarm, aber vollkommen befriedigt des Weges, um dich unter dem Dach, das ich mit größter Mühe auf den Ruinen deines Hauses aufgeschlagen habe, auszuruhen und von mir sattfüttern zu lassen. Ich wette, daß du noch vor dem Abend nach Bier schreien und mich morgen mit dem Stock prügeln wirst, weil ich dir nicht eifrig genug diene! Du wirst mich für dich arbeiten lassen, um selbst auf der faulen Haut zu liegen. So ist die Natur der Männer, und ich wundere mich gar nicht darüber; denn ich bin schon an alles gewöhnt, und nichts, was du treibst, kann mich mehr verblüffen.«
So überschüttete sie mich gedankenlos mit bitteren Vorwürfen, bis mich ihr Gezänk wieder so vertraut anmutete, daß ich an Kipa und an Merit denken mußte, mein Herz sich mit unsäglicher Wehmut füllte und die Tränen mir aus den Augen stürzten. Bei diesem Anblick erschrak Muti sehr und sagte: »Du begreifst wohl, Sinuhe, du Heißsporn, daß ich es mit meinen Worten nicht bös mit dir meine, sondern dir nur eine Lehre erteilen will. Ich habe tatsächlich noch eine handvoll Getreide versteckt und will es unverzüglich mahlen, um dir eine gute Grütze zu kochen; aus trockenem Schilf werde ich dir in den Mauerresten ein Lager bereiten, und vielleicht kannst du allmählich wieder mit der Ausübung deines Berufes beginnen, so daß es zum Leben reicht. Jedenfalls sollst du dir keine Sorgen für die Zukunft machen; denn ich habe in den Häusern der Reichen gewaschen, wo es eine solche Menge blutiger Kleider gibt, daß ich auf diese Art immer noch etwas verdienen kann. Und ich glaube auch, daß mir in dem Freudenhaus, wo die Soldaten untergebracht sind, ein Krug Bier geliehen wird, um dein Herz zu erfreuen.«
Bei diesen Worten schämte ich mich meiner Tränen, beruhigte mich und sprach: »Ich bin nicht hergekommen, um dir zur Last zu fallen, Muti. Ich werde bald wieder gehen, um lange Zeit und vielleicht nie mehr zurückzukehren. Deshalb wollte ich vor meiner Abreise noch einmal das Haus sehen, in dem ich glücklich war, und mit der Hand über den rauhen Stamm der Sykomore und über die von den Füßen Merits und des kleinen Thoth abgenützte Schwelle meines Hauses streichen. Mach dir meinetwegen keine Mühe, Muti! Von deinem Getreide kann ich nicht essen, weil ich weiß, daß in Theben großer Mangel herrscht. Ich will dir im Gegenteil, wenn möglich, etwas Silber senden, damit du in meiner Abwesenheit auskommst. Ich segne dich für deine Worte, Muti, als wärest du meine eigene Mutter; denn du bist eine gute Frau, wenn deine Worte auch zuweilen wie Wespen stechen.«
Muti brach in Schluchzen aus, wischte sich die Nase mit dem rauhen Handrücken und ließ mich nicht gehen, sondern zündete ein Feuer an und bereitete mir aus ihren armseligen Vorräten eine Mahlzeit, die ich, um sie nicht zu beleidigen, verzehren mußte, obwohl mir jeder Bissen im Halse stecken blieb. Muti sah mir beim Essen zu, schüttelte den Kopf und sagte: »Iß, Sinuhe, iß, du Heißsporn, wenn mein Getreide auch ein wenig angefault und die Mahlzeit mißraten und kaum genießbar ist! Ich verstehe nicht, was heute mit mir los ist, daß ich kaum Feuer machen kann und das Brot voll Asche ist. Iß, Sinuhe! Eine gute Mahlzeit heilt allen Kummer, stärkt den Leib und erfreut das Herz. Wenn der Mensch viele Tränen vergossen hat und sich verlassen fühlt, tut nichts besser als gutes Essen. Ich weiß, daß du dich wieder auf Reisen begeben und deinen dummen Kopf in alle Netze und Schlingen, die dir in den Weg gelegt werden, stecken willst; doch kann ich nichts dagegen tun, noch dich daran hindern. Iß daher, Sinuhe, um dich zu stärken! Ich werde treulich auf dich warten, Herr, und, wenn du wiederkommst, den Tag deiner Rückkehr segnen! Mach dir aber meinetwegen keine Sorgen, falls du, wie ich vermute, Mangel an Silber leidest, nachdem du deinen ganzen Reichtum als Brot an die Armen und die Sklaven vergeudet hast, die dich keineswegs dafür priesen, sondern deiner Dummheit wegen verhöhnten. Mache
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