Sinuhe der Ägypter
Schaftende, steckenblieben. Dies alles geschah mit Blitzeseile, rascher, als ich es zu erzählen vermag, und ich konnte ihre Absicht nicht durchschauen; denn nachdem die Leute die Seile durchschnitten und ihre Speere in den Boden gebohrt hatten, machten sie kehrt, sprengten in vollem Galopp zurück, entkamen zwischen den Streitwagen und hielten hinter diesen an. Nur einige der Reiter waren, von Pfeilen durchbohrt, vom Pferderücken herabgeglitten und eine Anzahl ihrer Rosse zu Boden gestürzt, wo sie, mit den Hufen wild um sich schlagend und laut brüllend, liegenblieben.
Doch als die leichten Streitwagen der Hetiter zum Angriff übergingen, bekam ich ein seltsames Schauspiel zu sehen: Haremhab, der seinen Truppen gefolgt war, stürmte aus den Hindernissen hervor und ganz allein auf die dröhnenden Streitwagen zu! Ich erkannte ihn gut, weil er die kleinen Männer des Niltals um Kopfeslänge überragte. Bei diesem Anblick sprang ich auf die Füße, schrie und ballte die Fäuste; Haremhab aber riß einen der hetitischen Speere, an dessen Ende ein Wimpel wehte, aus dem Boden und schleuderte ihn in weite Entfernung, wo er wieder zitternd im Sande steckenblieb. Sein Kriegerverstand arbeitete rascher als das Gehirn aller anderen. Als erster hatte er den Zweck dieser Signalspeere erfaßt: die Hetiter schickten vor dem Angriff ihre erfahrensten Leute auf einzelnen Pferden aus, um mit bewimpelten Speeren die Stellen anzugeben, wo die Hindernisse am schwächsten waren und der Angriff daher die bebten Aussichten auf Erfolg haben mußte.
Unter den Ägyptern hatte außer Haremhab niemand dieses Vorgehen begriffen; er allein besaß so viel Geistesgegenwart, den Signalspeer in die falsche Richtung zu schleudern, um die Hetiter irrezuführen. Einige Leute, die seinem Beispiel folgten und gleich ihm vor die Hindernisse hinausliefen, begnügten sich damit, die Speere aus dem Boden zu reißen, und kehrten mit den Wimpeln als Siegeszeichen zurück. Aber auch solches war geeignet, in den Angriff der Hetiter Verwirrung zu bringen. Ich glaube, daß nur Haremhabs rasche Auffassungsgabe an diesem Morgen Ägypten rettete; denn wenn die Hetiter die ganze furchtbare Wucht ihres ersten Ansturms gegen die von den Reitern zum Durchbruch bezeichneten Punkte gerichtet hätten, würden die Ägypter ihnen sicherlich nicht standgehalten haben.
Damals sah ich das noch nicht ein; Haremhabs Vorprellen gegen die anrollenden Wagenkolonnen dünkte mich ein unsinniger Jungenstreich, und ich tadelte ihn im Glauben, durch sein Beispiel habe er nur seine Leute anfeuern wollen. Es dürfte indes kein mutigeres Unternehmen in der Welt geben, als in offenem Gelände allein gegen angreifende Streitwagen anzustürmen. Sicherlich aber kann ein erfahrener Krieger solches ohne allzu große Gefahr wagen, falls er seine eigene Kraft und Gewandtheit sowie die Geschwindigkeit der Streitwagen richtig zu beurteilen vermag und beizeiten in Deckung zurückeilt, bevor ihn die Wagen unter sich zermalmen. Somit lief Haremhab vielleicht nicht einmal besonders große Gefahr; aber beim Anblick seiner Heldentat jubelte das ganze Heer laut auf, pries ihn ob seiner Tapferkeit und vergaß die Bedrängnis.
Als Haremhab zu seinen Truppen zurückgekehrt war, erreichten die leichten Streitwagen der Hetiter die Hindemisse und durchstießen sie, von den Wimpelzeichen geleitet, keilförmig. Auf diesen ersten Zusammenstoß folgte ein so entsetzlicher Lärm, und der Staub wirbelte unter den Pferdehufen und Wagenrädern in so dichten Wolken empor, daß es mir nicht mehr möglich war, vom Hügel aus den weiteren Verlauf der Schlacht zu beobachten. Ich konnte nur noch sehen, wie die Pfeile der Bogenschützen einige Pferde bereits vor den Hindernissen erlegten; aber die Hetiter wichen den umgekippten Wagen geschickt aus und griffen weiter an. Später erkannte ich, daß die leichten Streitwagen an einigen Stellen trotz großer Verluste alle Hindernisse durchbrochen hatten. Doch rückten die Wagen nicht weiter vor, sondern blieben in Gruppen stehen, und die Ersatzleute sprangen aus den Fahrzeugen, um die Steinblöcke fortzuwälzen und den Weg für die schweren Streitwagen freizumachen, die außer Reichweite der Pfeile vor den Hindernissen standen und ihren Einsatz abwarteten.
Bei diesem Erfolg der Hetiter hätte ein erfahrener Soldat alles verloren gegeben; Haremhabs unerfahrene Sumpfratten aber sahen bloß die gefallenen Pferde vor den Hindernissen in Todesqualen zucken oder in den Gräben um sich
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