Sinuhe der Ägypter
die Wüste schweifen, hob die Hände und sprach:
»Unsere Freunde, die Hetiter, nahen in ihren Wagen, und ich danke allen Göttern Ägyptens dafür! Denn wahrlich, Ammon hat sie so geblendet, daß sie sich allzusehr auf ihre Kraft verlassen; er jedoch kämpft auf unserer Seite. Geht also, ihr Sumpfratten vom Nil! Ein jeder nehme den ihm angewiesenen Platz ein und verlasse ihn nicht mehr ohne besonderen Befehl! Und ihr, meine lieben Freunde, folgt diesen Hasen und Schnecken, sorgt für sie und entmannt sie, wenn sie zu fliehen versuchen! Ich könnte euch sagen: ›Kämpft für die Götter Ägyptens, kämpft für das schwarze Land, für eure Frauen und Kinder!‹ Doch das ist eitles Geschwätz; denn ihr würdet euren Frauen ohne Zaudern ins Gesicht pissen, wenn ihr nur euer Leben durch Flucht retten könntet. Deshalb sage ich: Ägyptische Sumpfratten, kämpft für euch, kämpft um euer Leben und weicht nicht; denn das ist eure einzige Rettung! Und lauft jetzt, meine Jungen, lauft rasch! Sonst erreichen die Streitwagen der Hetiter die Bollwerke schneller als ihr, und die Schlacht ist zu Ende, bevor sie begonnen hat.«
Er entließ seine Zuhörer, und die Truppen liefen unter lauten Rufen auf die Hindernisse zu. Doch kann ich nicht sagen, ob sie vor Begeisterung oder vor Angst schrien, und ich glaube kaum, daß sie es selbst wußten. Haremhab folgte ihnen gemächlich, ich aber blieb am Berghang sitzen, um den Kampf aus sicherer Entfernung zu verfolgen, weil ich Arzt und mein Leben daher kostbar war.
Die Hetiter hatten ihre Streitwagen in der Ebene zu Füßen der Hügel vorgefahren und sich schlachtbereit aufgestellt. Ihre bunten Wimpel, der Glanz der geflügelten Sonnen an den Wagen, die wehenden Federbüsche der Pferde und die grellfarbenen Wolldecken, welche die Rosse zum Schutz gegen die Pfeile trugen, das alles bot einen großartigen und zugleich schaurigen Anblick. Sie beabsichtigten offenbar, ihren Angriff mit voller Wucht gegen das offene Gelände zu richten, durch das der von Haremhab in Eile durch leichte Hindernisse versperrte Weg zu den Wasservorräten führte, statt sich den beidseitigen Paßhängen zwischen den Hügeln zuzuwenden oder gar weiter in die Wüste hinaus zu zerstreuen, wo die Flanken der ägyptischen Streitmacht durch die Freischärler und Räuber verteidigt wurden. Denn wenn sie sich weiter in die Wüste hinaus verbreitet hätten, so wäre ihren Rossen der Weg zu den Wasservorräten zu lang geworden. Bei ihrem empfindlichen Mangel an Wasser und Futter für die Pferde verließen sie sich daher auf ihre Stärke und Kriegskunst, denen bisher kein Volk standgehalten hatte. Ihre Streitwagen, wovon es leichtere und ganz schwere gab, kämpften in Sechsergruppen, von denen je zehn ein Regiment bildeten. Ich glaube, es standen im ganzen sechzig Regimenter gegen Haremhabs ungeübte Truppen; denn die Hetiter waren ein genau rechnendes Volk, das die geraden Zahlen liebte. Die schweren, von je drei Pferden gezogenen und mit drei Mann ausgerüsteten Streitwagen aber bildeten die Mitte der Front, und beim Anblick dieser mächtigen Fahrzeuge vermochte ich nicht zu fassen, wie die Truppen Haremhabs ihrem Angriff widerstehen könnten. Denn sie bewegten sich langsam und schwerfällig wie Schiffe durch die Wüste und drohten alles, was sich ihnen in den Weg stellte, zu zermalmen.
Jedenfalls ließen die Hetiter in die Hörner stoßen, und die Streitwagen setzten sich mit allmählich zunehmender Geschwindigkeit in Bewegung. Doch als sie in die Nähe der Hindernisse kamen, sah ich zu meiner Verwunderung lose Pferde in vollem Galopp zwischen den Wagen hervor jagen, und auf dem Rücken eines jeden Rosses saß ein Mann, der sich an der Mähne des Tieres festklammerte und ihm mit den Fersen auf die Flanken trommelte, um es zu rascherem Lauf anzuspornen. Ich konnte nicht begreifen, warum sie die Ersatzpferde der Wagen ungeschützt vor die Front schickten, bis ich sah, wie sich die Männer vom Pferderücken herabbeugten und, sich an der Mähne festhaltend, mit Messern und Äxten die zwischen den Pfählen am Boden gespannten Schilfseile, welche die Rosse der Streitwagen zu Fall bringen sollten, durchhieben. Andere Pferde wiederum rasten, unbekümmert um die Pfeile und Speere der Ägypter, zwischen den Hindernissen heran, und die auf ihrem Rücken geduckten Reiter reckten sich und schleuderten ihre Speere – aber nicht etwa gegen die Ägypter, sondern in die Erde, wo sie, jeder mit einem flatternden, bunten Wimpel am
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