Sinuhe der Ägypter
sein Leben schonte, bis Haremhab einträfe. Er hat mir sogar versichert, mir das Augenlicht wieder zu verschaffen, wenn ich ihn am Leben ließe. Er ist nämlich selbst blind gewesen; aber ein großer Arzt hat sein eines Auge wieder sehend gemacht. Zu diesem Arzt hat er mich zu führen versprochen, damit auch ich wieder sehend werde und in der Stadt unter Menschen wohnen und meine Reichtümer genießen könne; er schuldet mir nämlich bereits über zwei Millionen Deben Gold für das Brot und Wasser, das ich ihm gebracht. Ich habe ihm nicht verraten, daß die Belagerung vorbei und daß Haremhab in Gaza ist. Das unterließ ich, damit seine Schuld für das Brot und Wasser, das ich ihm täglich bringe, noch wachse. Er wünscht nämlich, sofort nach Haremhabs Ankunft heimlich vor diesen geführt zu werden, und schwört, daß dieser ihn befreien und ihm goldene Ketten schenken werde; und ich glaube seinen Worten, weil kein Mensch dem Gezwitscher seiner Zunge widerstehen kann. Zu Haremhab aber bringe ich ihn erst, wenn er mir genau drei Millionen Deben Gold schuldig ist. Das ist eine runde Summe, die leicht im Gedächtnis zu behalten ist.«
Während seiner Rede begannen mir die Knie zu zittern, und das Herz schmolz mir zu Wasser in der Brust; denn ich glaubte zu ahnen, von wem er sprach. Aber ich heuchelte Gleichgültigkeit und sagte zu dem Greis: »Alter Mann, so viel Gold gibt es in ganz Ägypten und Syrien nicht. Deine Worte lassen mich vermuten, daß der Mann ein großer Betrüger ist und Strafe verdient. Führe mich sofort zu ihm und bete zu allen Göttern, daß ihm nichts zugestoßen sei! Denn du haftest mit deinem blinden Haupt für ihn.«
Unter bitteren Tränen und Anrufung Ammons führte mich der Alte in eine kleine Höhle, die abgesondert hinter den anderen lag und mit Steinen verschlossen war, damit Rojus Leute sie nicht fänden. Als ich mit der Fackel in die Höhle leuchtete, erblickte ich einen an die Mauer gefesselten, am Boden hockenden Mann, dessen syrische Kleider zerrissen und dessen Rücken voll Wunden war, während ihm der schlaffe Bauch in faltigen Säcken zwischen die Knie hinabhing. Auf dem einen Auge war er blind, mit dem anderen blinzelte er mich beim Fackelschein an, wobei er jedoch die Hand schützend gegen das Licht hob, das ihn nach der wochenlangen Finsternis schmerzte. Er fragte mich: »Bist du es, mein Herr Sinuhe? Gesegnet sei der Tag, der dich zu mir geführt hat! Aber laß Schmiede rasch meine Fesseln kappen und bring mir einen Krug Wein, damit ich meine Leiden vergesse! Und heiße Sklaven meinen Körper waschen und mit den besten Salben einreiben! Ich bin ein Dasein in Bequemlichkeit und Überfluß gewohnt, diese spitzen Bodensteine jedoch haben mir das Hinterteil wund gescheuert. Auch habe ich nichts dagegen einzuwenden, wenn du mir ein weiches Lager richten läßt und mir einige Ischtarjungfrauen zur Gesellschaft sendest; denn mein Bauch ist mir kein Hindernis mehr für die Liebesfreuden, obgleich ich, du magst es glauben oder nicht, in wenigen Wochen für mehr als zwei Millionen Deben Gold Brot verzehrt habe.«
»Kaptah, Kaptah!« rief ich, kniete vor ihm nieder und schlang ihm die Arme um die von den Ratten zerbissenen Schultern. »Du bist und bleibst unverbesserlich! In Theben behauptete man, du seist tot; aber ich habe es nicht geglaubt, weil ich dich für unsterblich halte. Der beste Beweis dafür ist, daß ich dich hier in der Totenhöhle unter lauter Leichen lebend und bei guter Gesundheit finde, obwohl die anderen, die alle rund um dich her in Fesseln gestorben sind, vielleicht anständigere und den Göttern wohlgefälligere Leute waren. Deshalb freut es mich sehr, dich am Leben zu sehen!«
Aber Kaptah sprach: »Du bist offenbar immer noch der gleiche eitle Schwätzer wie früher, Sinuhe! Sprich nicht zu mir von Göttern! In meiner Not habe ich alle mir bekannten und sogar babylonische und hetitische Götter angerufen: kein einziger aber hat mir geholfen; im Gegenteil: ich habe mich des habgierigen Wächters wegen arm fressen müssen. Einzig unser Skarabäus ist mir beigestanden, indem er dich zu mir geführt hat. Ach! Der Befehlshaber dieser Festung ist ein Narr, der auf kein vernünftiges Wort hört. Er ließ mich durch seine Männer ausplündern und meinen Leib so furchtbar foltern, daß ich auf dem Rad wie ein Stier brüllte. Den Skarabäus aber habe ich glücklicherweise aufbewahrt: als ich merkte, was mir bevorstand, verbarg ich ihn an einer Stelle meines Körpers, die
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