Sinuhe der Ägypter
verteilen; aber nach dem monatelangen Hunger vertrugen ihre Mägen nicht, sich satt zu essen, und daher starben viele Leute in der Nacht darauf unter heftigen Schmerzen. Auch glaube ich, daß sie während der Belagerung so schwer unter den Schrecken und dem machtlosen Haß gelitten hatten, daß ihnen das Leben keine Freude mehr zu bieten vermochte.
Wenn ich könnte, würde ich Gaza so schildern, wie ich es am Siegestag beim Einmarsch durch die aufgebrochenen Tore sah. Ich möchte die vertrockneten, an den Mauern hängenden Menschenhäute und die schwarz gewordenen Menschenschädel, an denen die Aasgeier hackten, schildern. Ich möchte den entsetzlichen Anblick der verbrannten Häuser und der in den Gassen zwischen den Mauerresten zerstreuten rußigen Tierknochen darstellen. Ich möchte den grausigen Gestank der belagerten Stadt wiedergeben, jenen tödlichen Pesthauch, vor dem die Soldaten Haremhabs sich die Nasen mit den Fingern zuhielten. Das alles möchte ich schildern, um eine Vorstellung von dem großen Siegestag zu vermitteln und auch zu erklären, weshalb sich mein Herz an diesem ersehnten Tag aller Siegesträume nicht zu freuen imstande war.
Ich möchte auch ein Bild von den überlebenden Soldaten Rojus, ihren ausgemergelten Körpern, ihren geschwollenen Knien und den von Peitschenhieben zerfleischten Rücken entwerfen. Ich möchte ihre Augen malen, die nicht mehr Menschenaugen glichen, sondern im Schatten der Mauern grün wie Raubtieraugen funkelten. Mit kraftlosen Händen hoben sie die Speere, um Haremhab mit erloschenen Stimmen zu begrüßen. Sie riefen ihm zu: »Haltet Gaza! Haltet Gaza!« Ich aber weiß nicht, ob sie es taten, um ihn zu verhöhnen, wozu sie allerdings keinen Grund hatten, oder nur, weil sich kein anderer Gedanke mehr in ihren bejammernswerten Gehirnen regte. Trotzdem befanden sie sich nicht in einem so betrüblichen Zustand wie die Stadtbewohner, sondern konnten noch essen und trinken. Haremhab ließ Vieh schlachten, um ihnen frisches Fleisch zu verschaffen, und verteilte Bier und Wein unter sie; denn nachdem seine Truppen das Lager der Hetiter und die Vorräte der Belagerer geplündert hatten, besaß er einen Überfluß an Getränken. Die Soldaten geduldeten sich nicht, bis das Fleisch fertig gekocht war, sondern rissen mit den Händen rohe Stücke ab und bissen hinein, und schon der erste Schluck Bier stieg ihnen zu Kopf, so daß sie unanständige Lieder zu singen und mit ihren Heldentaten zu prahlen begannen.
Es gab auch manches, womit sie sich brüsten konnten, und in den ersten Tagen wollte es keiner von Haremhabs Soldaten mit ihren Aufschneidereien aufnehmen; denn alle wußten, daß diese Festungssoldaten Übermenschliches geleistet hatten, als sie Gaza für Ägypten hielten. Sie priesen Haremhab, weil er ihnen Wein spendete und während der Belagerung ermutigende Botschaften und nachts mit kleinen Schmuggelbooten syrisches Getreide durch die Kette der Belagerungsschiffe gesandt hatte. Auch rühmten sie Haremhabs Schlauheit; denn nachdem ihre Getreidevorräte aufgegessen und die Soldaten auf Rattenjagd gegangen waren, um sich Nahrung zu verschaffen, hatte es in der Festung plötzlich Getreide in Lehmkrügen zu regnen begonnen, welche die Hetiter selbst in die Stadt hineinwarfen, und in jedem Krug Getreide steckte außerdem der Befehl Haremhabs: »Haltet Gaza!« Diese übernatürlichen Ereignisse hatten die Belagerten in ihrem Elend so ermutigt, daß sie Haremhab beinah als einen Gott betrachteten.
Jedem überlebenden Soldaten von Gaza schenkte Haremhab eine goldene Kette, was ihn nicht sehr teuer zu stehen kam; denn die Stadt zählte nicht einmal mehr zweihundert kampffähige Leute. Es war daher ein wahres Wunder, daß sie Gaza zu halten vermocht hatten. Er lieferte auch syrische Frauen an sie aus, die er im Lager der Hetiter gefangengenommen, damit sie sich mit den Weibern belustigten und die ausgestandenen Leiden vergäßen. Aber in ihrem ausgehungerten Zustand waren diese elenden Soldaten Gazas nicht mehr imstande, sich der Wollust hinzugeben, und so stachen sie den Frauen mit Speeren und Messern ins Fleisch, um sich nach der Hetiter Art an ihrem Wehgeschrei zu laben. Während der Belagerung hatten sie nämlich von den Hetitern viele neue Sitten gelernt, so zum Beispiel, den Gefangenen bei lebendigem Leibe die Haut abzuziehen und zum Trocknen an die Mauer zu hängen. Sie selbst aber behaupteten, sie stächen diese Frauen nur deshalb mit den Messern, weil sie Syrierinnen
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