Sinuhe der Ägypter
Auch war seine letzte Ruhestätte unscheinbar neben denjenigen der großen Könige, so daß er noch im Tod ebenso unbedeutend blieb, wie er im Leben unter seinen Spielsachen im goldenen Haus gewesen. Kaum war der Eingang zu seinem Grab mit Siegeln verschlossen worden, so erklärte Eje die Trauerzeit für beendet und ließ Freudenwimpel an den Stangen der Widderstraße hissen, während Haremhab befahl, alle Plätze und Straßenecken Thebens durch seine Streitwagen zu besetzen. Aber niemand erhob Einspruch gegen Ejes Krönung zum Pharao; denn das Volk war bereits so erschöpft wie endlos mit Speeren gehetztes Wild, und niemand fragte danach, mit welchem Recht er sich die Krone aneignete, noch erwartete irgend jemand etwas Gutes von ihm.
So wurde Eje zum Pharao gekrönt, und die Priester, die er mit unermeßlichen Geschenken bestochen hatte, salbten ihn im großen Tempel mit heiligem Öl und setzten ihm die weiße und die rote, die Lilien- und die Papyruskrone, die des Oberen und die des Unteren Landes aufs Haupt. Sie trugen ihn im goldenen Nachen Ammons vor das Volk, das ihm zujubelte, weil er Brot und Bier austeilen ließ und Ägypten so arm geworden war, daß dies für die Bewohner Thebens ein großes Geschenk bedeutete. Ich aber und viele andere mit mir wußten, daß seine Macht bloße Einbildung und Haremhab dagegen der eigentliche Herrscher Ägyptens war, weil er die Speere hinter sich hatte. Daher fragten sich viele Leute wohl auch im stillen, weshalb Haremhab nicht selbst die Macht an sich riß, sondern den alten, verhaßten Eje den Thron der Pharaonen besteigen ließ.
Aber Haremhab wußte, was er tat. Denn noch war der Zorn des Volkes nicht verraucht, waren die Leiden Ägyptens nicht zu Ende, und beunruhigende Kunde aus dem Lande Kusch rief ihn wieder unter die Waffen, diesmal gegen die Neger. Nachdem er die Herrschaft Ägyptens im Süden gefestigt und die Grenzsteine jenseits der Stromschnellen wieder verstärkt, wußte er, daß ihm Syriens wegen noch ein neuer Krieg mit den Hetitern bevorstand. Deshalb wollte er, daß das Volk Eje als den Urheber all seiner Leiden und seiner Armut betrachte und ihn, Haremhab, später einmal als den Sieger, den Wiederhersteller des Friedens und einen guten Herrscher preise.
Eje hingegen dachte nicht an solche Dinge; denn die Macht und der Glanz der Kronen verblendeten ihn, und er erfüllte gerne seinen Teil der mit Haremhab am Todestag Echnatons getroffenen Vereinbarung. Deshalb geleiteten die Priester in feierlichem Zuge die Prinzessin Baketamon in den Tempel der Sekhmet, legten ihr das rote Gewand und den Schmuck der Göttin an und hoben sie auf den Altar der Sekhmet. Haremhab langte mit seinen Truppen vor dem Tempel an, um seinen Sieg über die Hetiter und die Befreiung Syriens zu feiern. Ganz Theben umjubelte ihn. Vor dem Tempel teilte er Goldketten und Ehrenzeichen an seine Leute aus und entließ sie dann in die Stadt. Hierauf betrat er den Tempel, dessen Kupfertore von den Priestern hinter ihm geschlossen wurden. Sekhmet offenbarte sich ihm in der Gestalt der Prinzessin Baketamon, und er nahm sie; denn er war ein Krieger und hatte lange genug gewartet.
In dieser Nacht feierte Theben das Fest Sekhmets, der Himmel glühte vom Schein der Fackeln und Lampen, und Haremhabs Soldaten leerten Weinstuben und Bierschenken, zertrümmerten die Türen der Freudenhäuser und brachten in allen Straßen Thebens die Mädchen zum Schreien. Viele Menschen wurden im Laufe der Nacht mißhandelt, und in ihrer Ausgelassenheit zündeten die Soldaten einige Gebäude an; doch entstand dabei kein größerer Schaden. Im Morgengrauen versammelten sich die Krieger von neuem vor dem Sekhmettempel, um Haremhab heraustreten zu sehen. Sie stießen laute Rufe des Staunens und derbe Flüche in den verschiedensten Sprachen aus, als sie die Kupfertore des Tempels sich öffnen und Haremhab heraustreten sahen; denn Sekhmet war ihrer Löwinnengestalt treu geblieben, und Haremhabs Gesicht, Arme und Schultern waren mit blutigen Schrammen bedeckt, als hätten ihn Raubtierkrallen zerfleischt. Dies belustigte seine Soldaten sehr, und sie liebten ihn von nun an noch mehr als zuvor. Die Prinzessin Baketamon aber wurde von den Priestern in einer geschlossenen Sänfte zum Ufer getragen und kehrte in das goldene Haus zurück, ohne sich dem Volk zu zeigen.
Als sie verschwunden war, drangen die Soldaten in den Tempel, sammelten die am Boden zerstreuten Fetzen ihres roten Gewandes und verteilten diese untereinander als
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