Sinuhe der Ägypter
Händen auf die Knie. Schubattu aber war gewohnt, was er sich wünschte, zu erhalten, und streckte daher seinen Becher hin, indem er mich so lange anflehte und beschwor, ihn von meinem Wein kosten zu lassen, bis ich schließlich unter Tränen meinen kleinen Krug in seinen Becher leerte. Und so groß war in jenem Augenblick meine Angst, daß mir das Weinen gar nicht schwerfiel.
Nachdem Schubattu den Wein bekommen hatte, blickte er zögernd um sich, als hätte ihn eine innere Stimme gewarnt; nach hetitischer Art reichte er mir den Becher und sprach: »Weihe du, Sinuhe, meinen Becher ein, da du mein Freund bist und ich dir diese große Gunst erweise!« Das tat er, weil er nicht sein Mißtrauen zeigen und den Vorkoster zuerst trinken lassen wollte. Ich tat einen tiefen Zug aus seinem Becher, worauf er ihn leerte und, mit schief geneigtem Kopf in sich hineinlauschend, sagte: »Wahrlich, Sinuhe, dein Wein ist stark und steigt wie Rauch in den Kopf und brennt wie Feuer im Magen! Aber er hinterläßt einen herben Geschmack im Mund, und diesen ägyptischen Duft will ich mit Wein aus den Bergen hinunterspülen.« Er füllte den Becher wiederum mit seinem eigenen Wein, wodurch er das Gefäß ausspülte. Ich aber wußte, daß das Gift erst am folgenden Morgen zu wirken beginnen konnte, weil er reichlich gegessen hatte und sein Magen verstopft war.
Ich nahm so viel Wein zu mir, wie ich vermochte, stellte mich betrunken und ließ, um ja keinen Verdacht bei den Hetitern zu erwecken, noch die Zeit eines halben Wassermaßes verstreichen, ehe ich mein Zelt aufsuchte. Erst nach geraumer Zeit ließ ich mich also in mein Zelt geleiten und hielt die ganze Zeit den leeren Weinkrug an die Brust gepreßt, damit er nicht zurückbleibe, sondern einer Untersuchung durch die Hetiter entginge. Aber kaum hatten mich die Hetiter unter allerlei groben Scherzen zu Bett gebracht und verlassen, stand ich auf, steckte die Finger in den Hals und erbrach das schützende Öl und das Gift aus meinem Magen. Meine Furcht aber war so groß, daß mir der Todesschweiß aus den Poren brach und über die Glieder rann und die Knie zitterten, was vielleicht auch von der Wirkung des Giftes herkam. Deshalb spülte ich mir wiederholt den Magen, nahm entleerende Arzneien ein und übergab mich einmal ums andere, bis ich es schließlich vor lauter Angst und ohne Brechmittel tat.
Erst als ich mich gänzlich erschöpft fühlte, wusch ich den Weinkrug aus, zertrümmerte ihn und vergrub die Scherben im Sand. Dann legte ich mich nieder, ohne allerdings Schlaf zu finden; denn ich zitterte immer noch vor Angst und von dem Gift, und im Dunkel betrachtete mich die ganze Nacht das lachende Gesicht Schubattus, das so wenig von mir weichen wollte, als ich sein stolzes, sorgloses Lachen und seine blendendweißen Zähne vergessen konnte.
3
Der hetitische Stolz kam mir auch zu Hilfe, als Prinz Schubattu am folgenden Morgen Übelkeit verspürte: er wollte nicht zugeben, krank zu sein, noch die Reise unterbrechen, um sich von den Magenschmerzen zu erholen, sondern unterdrückte diese und bestieg die Sänfte, obgleich es ihm große Selbstüberwindung kostete. Deshalb setzten wir die Reise den ganzen Tag fort, und wenn ich an seiner Sänfte vorüberkam, winkte er mir mit der Hand zu und mühte sich zu lachen. Im Lauf des Tages gab ihm sein Arzt noch zweimal schmerzstillende und verstopfende Mittel ein, wodurch sein Übel sich nur verschlimmerte und das Gift seine volle Wirkung tun konnte; denn ein heftiger Durchfall am Morgen hätte ihm das Leben vielleicht noch retten können.
Am Nachmittag aber sank er in seiner Sänfte mit verdrehten Augen und in tiefer Bewußtlosigkeit zusammen, sein Gesicht färbte sich wachsgelb und fiel ein. Deshalb rief mich sein Arzt aufs tiefste erschrocken zu Hilfe. Auch ich erschrak, als ich Schubattu in seinem elenden Zustand erblickte, und brauchte wahrlich keinen Schrecken zu heucheln; denn kalte Schauer liefen mir über den Rücken, und beim Gedanken an das Gift fühlte ich mich selber krank. Aber ich behauptete, die Symptome zu kennen, und erklärte, Schubattu sei von der Magenkrankheit der Wüste befallen, deren Anzeichen ich schon am Vorabend in seinem Gesicht bemerkt und vor der ich ihn gewarnt hatte, obwohl er mir nicht glauben wollte. Die Karawane machte halt, und wir pflegten den Prinzen in seiner Sänfte. Wir gaben ihm belebende und entleerende Mittel ein und legten ihm heiße Steine auf den Magen, wobei ich jedoch die ganze Zeit dafür
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