Sinuhe der Ägypter
denn ich ahnte, daß es ihm seine Kräfte nicht erlauben würden, zu Fuß zurückzukehren.
Schließlich setzte er sich keuchend in den Sand und sagte ängstlich: »Halte meine Hände, Sinuhe, denn sie zittern, und mein Herz klopft. Die Stunde naht, denn die Welt ist öde, und auf Erden gibt es niemand außer dir und mir, doch wohin ich gehe, darfst du mir nicht folgen. Dennoch will ich nicht allein bleiben.« Ich griff nach seinen Handgelenken und fühlte seinen ganzen schweißbedeckten Körper zucken. Die Welt um uns war wüst und leer, und irgendwo in weiter Ferne heulte, todverkündend, ein Schakal. Die Sterne verblaßten nach und nach, und die Luft verfärbte sich ins Bleierne. Da schüttelte er plötzlich meine Hände ab, erhob sich und wandte das Gesicht gen Osten, den Bergen zu.
»Der Gott erscheint!« sprach er leise, und sein kränkliches Gesicht strahlte voller Andacht. »Der Gott erscheint!« wiederholte er mit stärkerer Stimme. »Der Gott erscheint!« rief er in die Wüste hinaus, und ringsum ward es heller, und die Berge vor uns flammten golden im Sonnenaufgang. Da schrie er gellend auf und sank bewußtlos um. Durch seine Glieder lief ein Zucken, sein Mund bewegte sich, und seine Füße wirbelten den Sand auf. Ich aber fürchtete mich nicht länger, denn ähnliche Rufe hatte ich bereits im Haus des Lebens vernommen und wußte daher wohl, was ich zu tun hatte. Ich besaß kein Holzstück, das ich zwischen seine Kiefer hätte schieben können, deshalb riß ich ein Stück von meinem Lendentuch ab, rollte den Stoff zusammen, steckte ihn in seinen Mund und begann seine Glieder zu reiben. Ich wußte, daß er beim Erwachen krank und verwirrt sein würde, und blickte mich daher hilfesuchend um, aber Theben lag weit hinter uns, und in der Nähe war nicht die kleinste Hütte zu entdecken.
Im selben Augenblick flog ein Falke schreiend vorüber. Er tauchte gerade aus der strahlend aufgehenden Sonne empor und beschrieb einen hohen Bogen über uns. Dann senkte er sich, und es sah aus, als hätte er sich auf der Stirn des Thronfolgers niederlassen wollen. Ich war so überrascht, daß ich instinktiv das heilige Zeichen Ammons schlug. Vielleicht hatte der Prinz mit seinem Gotte Horus gemeint, und vielleicht offenbarte sich uns dieser in seiner Falkengestalt. Der Prinz stöhnte, und ich beugte mich über ihn, um ihm zu helfen. Als ich den Kopf von neuem hob, sah ich, daß der Falke Menschengestalt angenommen hatte. Vor mir stand im Strahlenschein der aufgehenden Sonne, schön wie ein Gott, ein junger Mann. Er trug einen Speer in der Hand, und um die Schultern das grobe Achseltuch der Armen. Wohl glaubte ich nicht an die Götter, aber der Sicherheit halber verneigte ich mich bis zum Boden vor ihm.
»Was ist los?« fragte er in der Mundart des unteren Landes und wies auf den Thronfolger. »Ist der Jüngling krank?«
Ich schämte mich, erhob mich auf die Knie und grüßte wie gebräuchlich. »Falls du ein Räuber bist«, sagte ich, »wirst du von uns keine große Beute erhalten, aber ich habe einen Kranken bei mir, und vielleicht werden dich die Götter segnen, wenn du uns hilfst.«
Er stieß einen Schrei aus, der dem eines Falken glich, und hoch aus den Lüften stürzte plötzlich wie ein Stein ein Falke herab und setzte sich auf seine Schulter. Ich hielt es für geboten, auch weiterhin vorsichtig aufzutreten, falls er trotz allem ein Gott, wenn auch nur einer von den unbedeutenden Göttern sein sollte. Deshalb nahm ich einen ehrfürchtigen Ton an, als ich ihn höflich nach seinem Namen, seiner Herkunft und seinem Ziel befragte.
»Ich bin Haremhab, des Falken Sohn«, erwiderte er stolz. »Meine Eltern sind zwar nur einfache Leute, aber bei meiner Geburt wurde prophezeit, daß ich einst über viele befehlen werde. Der Falke flog vor mir her, deshalb bin ich hier, nachdem ich kein Nachtquartier in der Stadt finden konnte. In Theben fürchtet man sich nach Anbruch der Dunkelheit vor Speeren. Meine Absicht aber ist, als Krieger in den Dienst des Pharao zu treten, denn man behauptet, der Pharao sei krank, und wenn dem so ist, wird er, denke ich, Verwendung für starke Arme zum Schutze seiner Macht haben.«
Sein Leib war stattlich wie der eines jungen Löwen, und seine Augen schossen Blitze wie fliegende Pfeile. Ich dachte voller Neid, daß manche Frau zu ihm sagen würde: »Schöner Knabe, willst du mich in meiner Einsamkeit ergötzen?«
Der Thronfolger wimmerte, tastete mit den Händen über sein Gesicht und verdrehte
Weitere Kostenlose Bücher