Sinuhe der Ägypter
seine Gemütsruhe während des Krieges in Syrien sehr beeinträchtigt.
Ich habe viel über andere Menschen und ihre Erlebnisse zu der Zeit, da Eje in Ägypten regierte, berichtet, von mir selbst hingegen bis jetzt geschwiegen. Der Grund dafür liegt darin, daß es nicht mehr viel von mir zu erzählen gibt. Der Strom meines Lebens brauste nicht mehr, sondern floß langsam und bedächtig dahin, um in seichtes Wasser zu münden. Unter Mutis Obhut und Pflege lebte ich Jahr für Jahr in dem einstigen Haus des Kupferschmieds, das die alte Frau nach dem Brand wieder hatte aufführen lassen; meine Füße waren müde von dem Wandern auf staubigen Wegen, meine Augen matt vom Betrachten der ruhelosen Welt und mein Herz aller irdischen Eitelkeit überdrüssig. Deshalb schloß ich mich in meinem Haus ein und empfing keine Kranken mehr; nur meine Nachbarn heilte ich hier und da von ihren Leiden, und auch die Allerärmsten pflegte ich zuweilen, weil sie den anderen Ärzten keine Geschenke zu machen vermochten. Ich ließ einen neuen Teich in meinem Hof anlegen, setzte darin bunte Fische aus, und während die Esel auf der Straße vor meinem Haus schrien und die Kinder im Staub spielten, saß ich den ganzen Tag unter der Sykomore in meinem Garten und beobachtete die Fische, die gemächlich in dem kühlen Wasser herumschwammen. Der von der Feuersbrunst verkohlte Baum trieb neue Blätter, Muti sorgte gut für mich, bereitete mir kräftiges Essen, ließ mich, wenn ich Lust dazu hatte, mäßig Wein trinken und wachte darüber, daß ich reichlich schlief und meinen Körper nicht überanstrengte.
Aber die Speisen hatten in meinem Mund den Geschmack verloren, und der Wein bereitete mir keinen Genuß mehr, sondern brachte mir in der Abendkühle alle meine Untaten, das erlöschende Antlitz des Pharao Echnaton und das junge Gesicht des Prinzen Schubattu vor die Augen. Deshalb widerte es mich an, Menschen mit meiner Heilkunst zu pflegen; denn meine Hände waren verflucht und säten den Tod, obwohl ich gewünscht hatte, sie möchten nur Gutes tun. Darum betrachtete ich bloß noch die Fische in meinem Teich und beneidete sie um ihr kaltes Blut und ihre kühle Wollust und ihr vor der heißen Erdenluft behütetes Dasein im Wasser.
Während ich so in meinem Garten in der Betrachtung der Fische versunken dasaß, sprach ich zu meinem Herzen: »Beruhige dich, törichtes Herz! Nicht dein ist die Schuld; denn alles, was auf Erden geschieht, ist sinnlos; weder Güte noch Bosheit haben einen Zweck, und nur Geiz und Haß und Gier beherrschen die Welt. Dich trifft keine Schuld, Sinuhe; denn der Mensch bleibt sich gleich und wandelt sich nicht. Die Jahre rollen dahin, Menschen werden geboren, und Menschen sterben; ihr Dasein ist wie ein heißer Hauch, und sie sind nicht glücklich im Leben, sondern erst im Tod. Deshalb gibt es nichts Eitleres als ein Menschenleben, und du hast keine Schuld; denn unverwandelt bleibt der Mensch von Zeitalter zu Zeitalter. Umsonst versenkst du einen Menschen in den Strom der Zeit; sein Herz wird sich nicht wandeln, und unverändert wird er wieder auftauchen. Vergeblich prüfst du den Menschen durch Kriege und Not, durch Pest und Brand, durch Götter und durch Speere; denn durch die Prüfungen wird der Mensch verstockt, bis er böser ist als das Krokodil, und deshalb kann er nur nach dem Tod gut sein.«
Aber mein Herz widersprach mir: »Sitze nur ruhig da und betrachte die Fische, Sinuhe! Ich gebe dir doch, solange du lebst, keine Ruhe, sondern wiederhole dir täglich und stündlich: ›Gerade du bist schuldig!‹, und allnächtlich hämmere ich in deinen Schlaf: ›Du, Sinuhe, bist schuldig! Denn ich, dein Herz, bin unersättlicher als das Krokodil und fordere ein volles Maß für dich.‹«
Da ergrimmte ich heftig über mein Herz und erklärte ihm: »Du bist ein törichtes Herz, und ich bin deiner höchst überdrüssig, weil du mir in meinem ganzen Leben nichts als Verdruß und Schwierigkeiten, Kummer und Mühen bereitet hast. Ich weiß recht gut, daß mein Verstand ein Mörder mit schwarzen Händen ist; doch sind meine Mordtaten gering im Vergleich zu allen anderen Freveln, die in der Welt geschehen, und niemand kann mich ihretwegen anklagen. Deshalb verstehe ich nicht, warum du mir immer wieder meine Schuld vorhältst und mir keine Ruhe gönnst! Wer bin ich, daß ich die Welt verbessern und die menschliche Natur umwandeln sollte?«
Doch mein Herz erwiderte: »Ich rede nicht von deinen Mordtaten und klage dich nicht
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