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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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Mengen man einer jeden der vornehmen Leichen stehlen konnte, denn er behandelte bloß vornehme Leichen, und ich war sein Gehilfe. So konnte ich die Leichen meiner Eltern mit dem Haken aus dem Becken herausfischen, ihre Höhlungen mit geharztem Schilf ausstopfen und sie in Leinenbinden wickeln. Mehr aber konnte ich nicht für sie tun, denn selbst für den Diebstahl gab es bestimmte Grenzen, die nicht einmal Ramose überschreiten durfte.
    Auch lernte ich von ihm während seiner stillen und gemächlichen Arbeit in den Höhlen im Haus des Todes manche Weisheit. Nach einiger Zeit wagte ich auch das eine oder andere zu fragen, und er schreckte auch nicht vor der Frage »Warum?« zurück. Zu jener Zeit war meine Nase bereits gegen die scharfen Gerüche und den Gestank im Haus des Todes abgestumpft, denn der Mensch ist anpassungsfähig und kann sich an alles gewöhnen, und die Weisheit Ramoses zerstreute mein Entsetzen.
    Mit einer kurzen Zange zerbrach er langsam und vorsichtig durch die Nase die dünnen Knochen im Schädel eines vornehmen Mannes und begann dann mit seiner langen biegsamen Zange das Gehirn stückweise in eine mit starkem Öl angefüllte Schale herauszuziehen.
    »Warum?« fragte ich. »Warum soll der Leib eines Menschen bewahrt werden, um dem Tod zu widerstehen, wenn er doch kalt und gefühllos ist?«
    Ramose schielte mich aus seinen kleinen runden Schildkrötenaugen an, trocknete seine Hände am Lendenschurz und trank Bier aus einem neben dem Hirntopf stehenden Krug.
    »So ist es gewesen, und so wird es bleiben«, sagte er. »Wer bin ich, daß ich erklären könnte, was seit Urzeiten geschehen ist? Aber man behauptet, im Grab kehre des Menschen Ka, das heißt seine Seele, in den Leib zurück und genieße von dem Essen, das ihm geopfert wurde und freue sich der Blumen, die ihm gebracht wurden. Aber Ka verzehrt äußerst wenig, so wenig, daß des Menschen Auge es nicht sehen kann. Deshalb kann ein und dasselbe Opfer vielen dargebracht werden, und das Opfer eines Königs wird von seinem Grabe weggetragen und vor die Gräber seiner Edlen gelegt, und schließlich verzehren die aufopfernden Priester, wenn der Abend kommt, die Opferspende. Ba dagegen, das heißt der Geist der Menschen, fliegt im Augenblick des Todes aus seiner Nase davon, doch wohin, das weiß ich nicht. Daß solches geschieht, haben viele Zeugen in allen Zeiten versichert. Zwischen Ka und dem Menschen selbst gibt es keinen anderen Unterschied, als daß Ka im Licht keinen Schatten wirft, während der Mensch einen Schatten hat. Sonst aber sind sie gleich. So behauptet man.«
    »Deine Worte sind wie Fliegengesumm in meinen Ohren, Ramose«, sagte ich. »Ich bin kein ganz einfacher Mann, und du brauchst mir daher nicht alte Dinge vorzuplappern, die ich bereits vernommen oder in den Schriften bis zum Überfluß gelesen habe. Was aber ist Wahrheit?«
    Ramose trank noch einmal aus dem Bierkrug und blickte zerstreut auf die kleinen Stückchen Hirn, die in dem Topf daneben in Öl schwammen. »Du bist noch jung und ungeduldig, daß du solche Fragen stellst«, sagte er mit einer Grimasse und öffnete den Mund zu einem leisen Lachen. »Es brennt in deinem Herzen, wenn du solche Dinge fragst. Mein Herz ist alt und voller Narben und brennt nicht mehr von allerlei Fragen. Aber ob ein Mensch Nutzen davon hat oder nicht, daß sein Körper einbalsamiert wird, um dem Tod zu widerstehen, weiß weder ich noch irgendein anderer; ja, nicht einmal die Priester können es sagen. Aber, da man es immer so getan hat und es auch in Zukunft noch immer so halten wird, ist es am sichersten, den Brauch zu befolgen, denn dann nimmt man jedenfalls keinen Schaden. Eines weiß ich nur, und das ist, daß noch keiner aus dem Lande des Westens zurückgekehrt ist und berichtet hat, wie es dort aussieht. Allerdings gibt es Leute, die behaupten, die Ka ihrer lieben Verstorbenen kehrten im Traume zu ihnen zurück, um ihnen Rat, Lehren und Warnungen zu erteilen; aber Träume sind Trugbilder, und am Morgen bleibt nichts von ihnen übrig. Allerdings ist es wahr, daß einst eine Frau im Haus des Todes zum Leben erwachte und zu ihrem Gatten und ihren Eltern zurückkehrte, lebte und alt wurde, bis sie ein zweites Mal starb. Aber dies konnte, so glaube ich, nur deshalb geschehen, weil sie nicht wirklich gestorben war, sondern weil jemand sie verzaubert hatte. Die Frau erzählte allerdings, daß sie im Schlund des Todes gewesen sei, wo tiefste Finsternis herrschte und viele schaurige Gestalten sie

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