Sinuhe der Ägypter
Müden und ein Obdach dem Flüchtling. Unser Leben war lang, und seine Freuden sind mannigfaltig gewesen. Die größten Freuden aber hast du, Sinuhe, uns bereitet, als du aus dem Strom zu uns kamst, obgleich wir alt und einsam waren. Deshalb erteilen wir dir unsern Segen, und du sollst nicht traurigen Herzens sein, wenn wir auch kein Grab besitzen, denn ohne Grenzen ist die Nichtigkeit des Daseins, und deshalb ist es vielleicht besser für uns, im Nichts zu verschwinden, dann bleiben uns auch die Gefahren auf der beschwerlichen Reise nach dem Lande des Westens erspart. Denke stets daran, daß unser Tod leicht war und daß wir dich vor unserem Ende segneten. Mögen alle Götter Ägyptens dich vor Gefahren schützen, möge dein Herz vor Kummer bewahrt bleiben, und möge dir durch deine Kinder ebensoviel Freude zuteil werden, wie wir durch dich empfangen haben. Das wünschen dir dein Vater Senmut und deine Mutter Kipa.«
Und mein Herz war nicht länger wie ein Stein, sondern es rührte sich. Tränen flossen in den Staub zu meinen Füßen. Der Schreiber aber sagte: »Da hast du den Brief. Zwar trägt er nicht das Siegel deines Vaters, wegen seiner Blindheit konnte er auch seinen Namen nicht darunter schreiben; doch wirst du mir glauben, wenn ich dir sage, daß ich Wort für Wort getreu lich nach seinem Diktat geschrieben habe, und noch größere Gewißheit bieten dir die Tränen deiner Mutter, die da und dort ein Schriftzeichen verwischt haben.« Er zeigte mir die Papyri, doch meine Augen waren blind vor Tränen, und ich konnte nichts sehen. Er rollte die Papyri zusammen, gab sie mir in die Hand und sagte: »Dein Vater Senmut war ein rechtschaffener Mann und deine Mutter Kipa eine gute Frau, wenn sie auch zuweilen böse Redensarten im Munde führte, wie das bei Frauen üblich ist. Deshalb habe ich das alles für deinen Vater geschrieben, obwohl er mir nicht das kleinste Geschenk dafür geben konnte und ich überlasse dir die Papyri, obgleich es gute Papyri sind, die man leicht reinigen und nochmals benützen könnte.«
Ich sann eine Weile nach und sagte: »Auch ich habe kein Geschenk für dich, mein guter Mann. So nimm mein Achseltuch, denn es ist aus gutem Stoff, wenn auch schmutzig und zerknittert.« Ich nahm mein Achseltuch ab und reichte es ihm, und er prüfte mißtrauisch den Stoff, hob dann aber erstaunt die Hände und sagte: »Du bist sehr großherzig, Sinuhe, was die Menschen auch immer von dir sagen mögen. Und sollten die Leute behaupten, du habest deinen Vater und deine Mutter ausgeplündert und nackt in den Tod getrieben, so werde ich dich verteidigen. Aber dein Achseltuch kann ich nicht annehmen, denn es ist aus kostbarem Stoff, und ohne es würden deine Schultern von der Sonne rotgebrannt werden wie die Rücken der Sklaven.«
Ich aber sagte: »Nimm es, und mögen alle Götter Ägyptens dich segnen, und mag dein Leib in Ewigkeit bewahrt werden, denn du weißt selber nicht, welchen Trost du mir gegeben hast.«
Da nahm er das Achseltuch und ging, und schwenkte es über seinem Kopf und lachte laut vor Freude. Ich aber begab mich in das Haus des Todes, nur mit einem Lendentuch bekleidet wie die Sklaven und Ochsentreiber, und diente den Leichenwäschern dreißig Tage und dreißig Nächte.
4
Als Arzt glaubte ich gegen den Tod, die Leiden, die üblen Gerüche und den Anblick von Geschwüren und eitrigen Wunden abgehärtet zu sein. Aber als ich meinen Dienst im Haus des Todes begann, erkannte ich, daß ich noch ein Kind war und nichts wußte. Mit den Armen hatte man allerdings nicht viel Mühe, denn sie lagen ruhig in der scharfen Lauge. Ich lernte bald den Haken handhaben, mit dessen Hilfe man die Leichen bewegte. Aber die Leichname der höheren Stände erforderten weit größere Geschicklichkeit, und das Spülen ihrer Eingeweide verlangte abgestumpfte Sinne. Noch mehr Abgestumpftheit aber brauchte es, um zuzusehen, wie Ammon die Menschen nach ihrem Tod noch mehr als zu Lebzeiten ausplünderte, denn die Preise für das Balsamieren wechselten je nach den Vermögensverhältnissen, und die Balsamierer belogen die Angehörigen der Toten und zählten eine Menge kostbarer öle, Salben und Konservierungsmittel auf, die sie zu verwenden behaupteten, obwohl alles das gleiche war, nämlich Sesamöl. Nur die Leichen der Vornehmen wurden mit aller Kunstfertigkeit behandelt, während man in die Körperhöhlungen der übrigen Öl einspritzte, das ihre Eingeweide zersetzte, worauf man sie mit in Harz getränktem Schilf
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