Sinuhe der Ägypter
bedrängten, wie zum Beispiel Paviane, die sie umarmten, und Scheusale mit Krokodilköpfen, die sie in die Brüste bissen, und über all dies ist ein Bericht verfaßt worden, der im Tempel aufbewahrt und gegen Bezahlung solchen, die es wünschen, vorgelesen wird. Doch wer glaubt auch, was ein Weib erzählt? Jedenfalls hat der Tod einen solchen Eindruck auf sie gemacht, daß sie für den Rest ihres Lebens fromm wurde und täglich den Tempel besuchte und ihre Mitgift sowie auch ihres Mannes Eigentum für Opfer verwendete, so daß ihre Kinder verarmten und nicht mehr die nötigen Mittel besaßen, um ihren Leib balsamieren zu lassen, als sie schließlich wirklich starb. Aber der Tempel schenkte ihr ein Grab und sorgte für die Erhaltung ihres Leibes. Das Grab wird heute noch in der Stadt der Toten gezeigt, wie du vielleicht weißt.«
Je mehr er sprach, um so entschlossener wurde ich, die Körper meiner Eltern einbalsamieren zu lassen, denn das war ich ihnen schuldig, obgleich ich seit meinem Aufenthalt im Haus des Todes nicht mehr wußte, ob es ihnen von Nutzen sein kann oder nicht. Doch es war in ihren alten Tagen die einzige Freude und Hoffnung gewesen, daß ihre Körper einst für alle Ewigkeiten aufbewahrt werden sollten, und deshalb wollte ich ihren Wunsch erfüllen. Ich balsamierte sie mit Ramoses Hilfe ein und wickelte sie in Leinenbinden. Vierzig Tage und vierzig Nächte mußte ich im Haus des Todes ausharren, weil ich sonst nicht genügend hätte stehlen können, um die Körper meiner Eltern auf die richtige Art zu behandeln. Aber da ich kein Grab, ja nicht einmal einen hölzernen Sarg für sie besaß, nähte ich sie beide in dieselbe Ochsenhaut ein, damit sie für immer vereint bleiben sollten.
Doch als ich daran war, das Haus des Todes zu verlassen, begann ich zu zögern, und das Herz zitterte in meiner Brust. Auch Ramose, der die Geschicklichkeit meiner Hände kannte, bat mich, dazubleiben als sein Gehilfe, und ich hätte gut verdienen, viel stehlen und mein ganzes Leben in den Höhlen im Haus des Todes verbringen können, ohne daß meine Freunde meinen Aufenthaltsort gekannt und ohne daß ich Kummer und Leiden eines gewöhnlichen Lebens hätte erdulden müssen. Dennoch blieb ich nicht im Haus des Todes; aber warum ich es nicht tat, obgleich es mir dort gutging und mir nichts fehlte, nachdem ich mich einmal an das Leben in diesen Höhlen gewöhnt hatte, das kann ich nicht sagen.
Ich wusch und reinigte mich, verließ das Haus des Todes, begleitet von den Flüchen und dem Spott der Leichenwäscher, die jedoch nichts Böses damit meinten, denn es war nur so ihre Art, miteinander zu reden, und eine andere Art kannten sie nicht. Sie halfen mir die Ochsenhaut hinaustragen, in die ich die balsamierten Körper meiner Eltern eingenäht hatte. Obwohl ich mich gereinigt hatte, wichen mir die Menschen aus und hielten sich die Nase zu und machten beleidigende Gesten: so tief war der Geruch vom Haus des Todes in mich eingedrungen. Niemand wollte mich über den Strom rudern. So wartete ich bis zum Einbruch der Dunkelheit und stahl dann, ohne Furcht vor den Wächtern, ein Schilfboot am Ufer und brachte die Leichname meiner Eltern über den Strom, in die Stadt der Toten.
5
Die Totenstadt war auch zur Nachtzeit streng bewacht, und ich fand kein einziges unbehütetes Grab, in das ich die Leichname meiner Eltern hätte legen können, damit sie ewig leben und von den Opferspenden der Reichen und Vornehmen hätten genießen können. Deshalb schleppte ich die Ochsenhaut auf meinem Rücken in die Wüste hinaus, und die Sonne brannte mich und sog die Kräfte aus meinen Gliedern, so daß ich jammerte und glaubte, sterben zu müssen. Ich schleppte die Ochsenhaut auf gefährlichen Pfaden, die sonst nur Leichenplünderer zu benützen wagten, in die Berge hinauf. Ich trug sie in das verbotene Tal, wo die Pharaonen begraben sind. Nachts bellten die Schakale, und die Giftschlangen der Wüste zischten mich an. Auf den heißen Steinen krochen Skorpione; aber ich fürchtete mich nicht, denn mein Herz war abgestumpft gegen jede Gefahr. Obgleich ich noch jung war, hätte ich den Tod mit Freuden begrüßt, wenn es ihn nach mir gelüstet hätte; denn seitdem ich wieder am Tageslicht und unter den Menschen war, empfand ich meine Schmach von neuem bitter wie Lauge, und das Leben schien mir nichts mehr zu bedeuten.
Damals wußte ich noch nicht, daß der Tod den Menschen meidet, der sich nach ihm sehnt, und nur jene holt, deren Herzen nach dem
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