Sinuhe der Ägypter
Glücksstein, vielleicht hast du ihn wirklich nötiger als ich. Ich frage mich auch, was du für ein Fremdling bist, der nicht weiß, daß ich die Wächter nicht zu fürchten brauche, weil ich ein freier Mann und kein Sklave bin. Ich könnte sogar in die Stadt gehen, doch mag ich mich nicht in den Straßen zeigen, weil die Kinder sich vor meinem Gesicht fürchten.«
»Wie könnte ein zu lebenslänglicher Strafarbeit in den Steinbrüchen Verurteilter ein freier Mann sein«, sagte ich höhnisch, weil ich glaubte, er prahle nur. »Das sieht man doch deiner Nase und deinen Ohren an!«
»Deine Worte können mich nicht erzürnen, weil ich ein frommer Mann bin und die Götter fürchte«, sagte er. »Deshalb erschlug ich dich auch nicht im Schlaf. Aber weißt du wirklich nicht, daß der Thronfolger, als er zum Herrscher beider Reiche gekrönt wurde, den Befehl erließ, alle Fesseln zu lösen und alle zur Sklaverei in Bergwerken und Steinbrüchen Verurteilten freizulassen, so daß dort jetzt nur noch freie Männer gegen Lohn eingestellt werden?« Er lachte eine Weile vor sich hin und sagte dann: »Deshalb leben hier im Röhricht viele kräftige Kerle, die sich von den Opferspenden auf den Tischen der Reichen in der Totenstadt erhalten, denn die Wächter fürchten uns, während wir uns nicht vor den Toten fürchten. Wer einmal in den Gruben war, fürchtet nichts mehr, denn, wie du sicher weißt, kann einem nichts Schlimmeres widerfahren, denn als Sklave in die Gruben geschickt zu werden. Viele von uns fürchten nicht einmal die Götter. Ich aber bin vorsichtshalber ein frommer Mann, wenn ich auch zehn Jahre in einer Grube verbracht habe, was du mir ansehen kannst.« So erfuhr ich erst jetzt, daß der Thronfolger als Amenophis der Vierte den Thron bestiegen und alle Sklaven und Sträflinge befreit hatte, so daß die Bergwerke und Steinbrüche im Osten am Meer und auch alle Gruben in Sinai leer standen; denn in ganz Ägypten gab es keinen so verrückten Menschen, der sich freiwillig zur Arbeit in den Gruben gemeldet hätte. Große königliche Gemahlin war nun die Prinzessin von Mitani, die mit Puppen spielte, und der Pharao war ein Mann, der einem neuen Gotte diente.
»Sein Sohn ist sicher ein ganz ungewöhnlicher Gott«, meinte der einstige Grubensklave, »wenn er den Pharao zu Wahnsinnstaten verleitet. Denn Mörder und Räuber laufen nun frei in beiden Reichen umher, und die Gruben sind verödet, und der Reichtum Ägyptens kann sich nicht weitervermehren. Ich habe mich allerdings keiner bösen Tat schuldig gemacht, sondern habe ungerecht gelitten, aber solches ist stets vorgekommen und wird auch immer wieder vorkommen. Deshalb ist es Wahnsinn, Hunderten und Tausenden von Verbrechern die Fesseln zu lösen, damit ein Unschuldiger gleichzeitig befreit werde. Doch ist das nicht meine Sache, sondern die des Pharao. Mag er für mich denken.«
Während er so sprach, sah er mich an und betastete meine Hände und befühlte den Schorf an meinem Rücken. Mein Geruch aus dem Haus des Todes schreckte ihn nicht ab, und er hatte offenbar um meiner Jugend willen Mitleid mit mir, denn er sagte: »Deine Haut ist verbrannt. Ich habe Öl. Du erlaubst wohl, daß ich dich einreibe.« Und er rieb mir Rücken und Beine und Arme ein, doch während er es tat, fluchte er und sagte: »Ich weiß bei Ammon nicht, weshalb ich das tue, denn welchen Nutzen habe ich eigentlich von dir, und hat mich etwa jemand eingerieben, als ich zerschlagen und zerschunden war und die Götter ob dem Unrecht, das mir geschah, verfluchte?«
Ich wußte wohl, daß alle Sklaven und Verurteilten ihre Unschuld zu beteuern pflegen. Aber da er freundlich gegen mich war, wollte ich auch freundlich zu ihm sein, und so einsam war ich, daß ich fürchtete, er könne von mir weggehen und mich von neuem mit meinem Herzen allein lassen. Deshalb sagte ich: »Erzähle mir das Unrecht, das dir widerfahren ist, damit ich mit dir trauern kann.«
Er sagte: »Die Trauer hat man mir in der Kupfergrube bereits im ersten Jahr mit Stockhieben ausgetrieben. Der Haß war zäher, denn es dauerte fünf Jahre, bis auch der Haß mir ausgepeitscht und mein Herz von allen menschlichen Gefühlen entblößt worden war. Doch warum sollte ich dir nicht alles erzählen, um dich abzulenken, denn meine Finger tun deinem Rücken beim Reiben des Schorfes sicher weh. Wisse also, daß ich einst ein freier Mann und Landwirt war und eine Hütte und Ochsen und eine Frau und Bier in meinem Kruge besaß. Doch hatte ich
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