Sinuhe der Ägypter
ich bin nicht so barmherzig wie er, sondern werde meine Forderung eintreiben. Wenn du mich daran hindern willst, werde ich dir das Genick brechen, wenn du hingegen klug bist, wirst du mir helfen; denn vier Augen sehen mehr als zwei, und mit vereinten Kräften werden wir, sobald wir das Grab einmal aufgebrochen haben, mehr daraus wegschleppen können, als ich es allein vermöchte!«
»Ich mag nicht ausgepeitscht, mit dem Kopf nach unten, an der Mauer hängen«, sagte ich erschrocken. Doch bei näherer Überlegung sah ich ein, daß meine Schande kaum größer werden könnte, selbst wenn meine Freunde mich mit dem Kopf nach unten an der Mauer hängen sehen sollten, und den Tod selbst fürchtete ich nicht.
Deshalb aßen und tranken wir, und als wir den Krug geleert, zerschlugen wir ihn und warfen die Scherben auf die Gräber ringsum. Und die Wächter schwiegen dazu und kehrten uns den Rücken, denn sie waren vor Angst gelähmt. Zur Nacht kamen Soldaten aus der Stadt über den Strom zur Totenstadt gerudert, um die Gräber zu schützen, aber der neue Pharao hatte nicht, wie üblich, bei der Krönung Geschenke unter sie verteilen lassen. Deshalb murrten sie und begannen die Gräber aufzubrechen und zu plündern, nachdem sie erst reichlich Wein genossen hatten; denn in den Opfernischen der Gräber standen viele Weinkrüge. Und niemand hinderte Nasenlos und mich daran, das Grab Anukis aufzubrechen. Wir kippten seinen Sarg um und schleppten so viele goldene Becher und andere Kostbarkeiten fort, wie wir nur tragen konnten. Im Morgengrauen versammelten sich am Ufer Scharen syrischer Kaufleute, um geraubtes Grabgut aufzukaufen und es in ihren Schiffen stromabwärts zu befördern. Wir verkauften ihnen unsere Beute und erhielten beinahe zweihundert Deben Gold und Silber, die wir nach dem darauf gestempelten Gewicht miteinander teilten. Doch machte der Preis, den wir für die Kostbarkeiten aus dem Grab erhielten, bloß einen geringen Teil ihres wirklichen Wertes aus, und das Gold, das man uns gab, war kein reines Gold. Aber Nasenlos jubelte und sagte:
»Ich werde noch ein reicher Mann werden, denn dieser Beruf ist wahrhaftig lohnender, als Lasten im Hafen zu schleppen oder Wasser aus den Bewässerungsgräben auf die Felder zu tragen.« Ich aber sagte: »Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.« Deshalb trennten wir uns, und ich kehrte mit dem Boot eines Kaufmanns an das jenseitige Ufer nach Theben zurück. Ich kaufte mir neue Kleider und aß und trank in einer Weinstube, denn ich begann den Geruch vom Haus des Todes bereits zu verlieren. Doch den ganzen Tag über vernahm man jenseits des Stromes Hornstöße und Waffengeklirr aus der Totenstadt. Streitwagen fuhren die Gänge zwischen den Gräbern entlang, und die Leibwache des Pharao jagte mit ihren Speeren auf plündernde Soldaten und freigewordene Grubensträflinge, so daß ihre Todesschreie bis in die Stadt vernehmbar wurden. An jenem Abend war die Mauer voll von Leichen, die mit dem Kopf nach unten hingen. So wurde die Ordnung in Theben wiederhergestellt.
7
Ich verbrachte eine Nacht in einer Herberge und kehrte dann zu meinem einstigen Haus zurück und rief nach Kaptah. Kaptah kam hinkend. Seine Wangen waren von Schlägen geschwollen; aber als er mich erblickte, brach sein eines Auge in Freudentränen aus. Er warf sich mir zu Füßen und sagte: »Herr, du bist zurückgekehrt, obgleich ich dich für tot hielt. Denn ich dachte mir, daß du, falls du noch leben würdest, sicher zurückgekehrt wärest, um mehr Kupfer und Silber von mir zu verlangen. Es ist nämlich so: Wer einmal gibt, der muß immer wieder geben. Aber du kamst nicht, obgleich ich deinetwegen meinem neuen Herrn – möge sein Leib verwesen – soviel wie nur möglich gestohlen habe, was du meiner Wange und meinem Knie, dem er gestern einen Fußtritt versetzte, ansehen kannst. Seine Mutter, das Krokodil – möge sie in Staub zerfallen –, hat mir angedroht, sie werde mich verkaufen, und deshalb bin ich in großer Angst. Verlassen wir rasch dieses verfluchte Haus, Herr, und fliehen wir zusammen!«
Ich zögerte, und er legte mein Zögern offenbar falsch aus, denn er sagte: »Ich habe wirklich so viel gestohlen, Herr, daß ich eine Zeitlang für dich sorgen kann, und wenn meine Mittel erschöpft sind, kann ich für dich arbeiten. Rette mich also aus den Händen dieses Mutterkrokodils und seiner Brut.«
»Ich bin nur gekommen, um dir meine Schuld zurückzuzahlen, Kaptah«, sagte ich und zählte ihm
Weitere Kostenlose Bücher