Sinuhe der Ägypter
ist ein Berg und hinter dem Berg wiederum ein Tal, und in jedem Tal wohnt ein anderes Volk, das von einem selbständigen Fürsten regiert wird, der dem Pharao Steuern entrichtet, oder es wenigstens zu jener Zeit, von der ich erzähle, tat. Die Völker sprechen verschiedene Sprachen und Dialekte, und die Küstenbewohner verdanken ihr Auskommen als Fischer oder seefahrende Kaufleute dem Meer. Im Innern des Landes aber lebt man von Ackerbau oder Räuberei, die die ägyptischen Garnisonen nicht verhindern können. Die farbigen Kleider der Menschen sind kunstreich aus Wolle gewebt und bedecken den Leib vom Kopf bis zum Fuß, wahrscheinlich weil es hier kälter als in Ägypten ist; aber auch weil die Leute es als Schande empfinden, ihren Leib zu entblößen. Sie tragen lange Haare, lassen sich die Barte wachsen und nehmen ihre Mahlzeiten stets im Haus ein. Ihre Götter – jede Stadt hat ihre eigenen – verlangen auch Menschenopfer. Aus dem, was ich jetzt gesagt habe, wird ein jeder ersehen, daß in den roten Landen alles ganz anders ist als in Ägypten, doch warum es so ist, kann ich nicht erklären, denn ich weiß es nicht.
Deshalb wird auch jedermann verstehen, daß die vornehmen Ägypter, die zu jener Zeit als Gesandte in die Städte Syriens reisten, um die Steuerabgaben an den Pharao zu überwachen und die Garnisonen zu befehligen, ihre Aufgabe eher als eine Strafe denn als eine Ehre betrachteten und sich an die Ufer des Stromes zurücksehnten, mit Ausnahme einiger weniger, die verweichlicht wurden und sich von dem Neuen und Fremdartigen dazu verleiten ließen, Kleider und Gesinnung zu wechseln und den fremden Göttern zu opfern. Auch die seltsamen Sitten der Syrier und ihre stetigen Ränke und Schliche bei der Steuerentrichtung sowie die ewigen Zwiste unter den verschiedenen Fürsten machten den ägyptischen Regierungsbeamten das Leben sauer. Dennoch gab es auch in Simyra einen Ammontempel, und die Mitglieder der ägyptischen Kolonie hatten regen Verkehr unter sich, veranstalteten Einladungen und feierten Feste, ohne sich mit den Syriern zu vermischen, und bewahrten ihre eigenen Sitten und bildeten sich ein, in Ägypten zu sein.
Ich wohnte zwei Jahre in Simyra und lernte in dieser Zeit die Sprache und die Schrift Babylons, weil man mir sagte, daß ein Mann, der sie beherrschte, die ganze Welt bereisen und sich überall unter den Gebildeten verständlich machen könne. In Babylonien schreibt man, wie jeder weiß, auf Lehmtafeln, indem man die Buchstaben mit einem scharfen Schreibstäbchen einritzt, und der ganze Schriftwechsel unter den Königen geschieht auf diese Art. Doch warum es so geschieht, kann ich nicht sagen. Vielleicht deshalb, weil Papyrus vergänglich ist, während eine Lehmtafel für immer aufbewahrt werden und bezeugen kann, wie rasch Könige und Herrscher ihre Bündnisse und heiligen Verträge vergessen.
Wenn ich sagte, daß in Syrien alles anders als in Ägypten war, meinte ich damit auch, daß ein Arzt seine Patienten selbst aufsuchen muß; denn die Kranken kommen nicht zum Arzt, sondern warten, bis er zu ihnen kommt, und glauben, er sei ihnen von den Göttern gesandt worden. Auch machen sie dem Arzt die Geschenke im voraus und nicht erst nach der Genesung, was für den Arzt von Vorteil ist, weil ein Patient nach der Gesundung leicht seine Dankbarkeit vergißt. Außerdem ist es Sitte, daß die Vornehmen und Reichen einen eigenen Arzt halten, ihm Geschenke machen, solange sie gesund sind, und wenn sie krank werden, damit aufhören, bis sie geheilt sind.
Ich beabsichtigte, mit der Ausübung meines Arztberufes in Simyra in aller Stille zu beginnen, doch Kaptah war anderer Meinung. Er riet mir, alle meine Mittel zur Anschaffung prachtvoller Kleider zu verwenden und Ausrufer anzustellen, die überall in der Stadt, wo Menschen versammelt waren, meinen Ruf verbreiten sollten. Die Ausrufer sollten auch verkünden, daß ich keine Kranken besuche, sondern sie in meinem Haus empfange. Kaptah gestattete mir nicht, irgendeinen Kranken zu behandeln, der weniger als ein Goldstück mitbrachte. Ich hielt das für einen Wahnsinn, besonders in einer Stadt, wo niemand meine Kunst kannte und wo die Sitten andere als im schwarzen Lande waren. Aber Kaptah blieb bei seiner Anschauung, und ich vermochte ihn nicht davon abzubringen, denn wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er störrischer als ein Esel.
Er überredete mich auch, die geschicktesten Ärzte Simyras aufzusuchen und ihnen folgendes zu sagen:
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