Sinuhe der Ägypter
Wege dorthin hörte ich die Offiziere murren und unter sich sagen: »Hat man schon je so etwas gehört, daß der oberste Befehlshaber an der Spitze in die Schlacht zieht? Das gedenken wir jedenfalls nicht zu tun, denn es ist in allen Zeiten Sitte gewesen, daß Anführer und Offiziere in Sänften hinter den Truppen hergetragen werden; sie sind ja allein des Schreibens kundig, und wie könnten sie sich sonst merken, was die Soldaten tun, und die Feiglinge, die fliehen, strafen!« Haremhab hörte ihre Reden, sagte aber nichts dazu, sondern spielte nur lächelnd mit seiner Peitsche.
Der in aller Eile aus Holz und Lehm aufgeführte Tempel war klein und glich nicht den üblichen Tempeln, sondern war in der Mitte, wo der Altar stand, offen. Auch sah man kein Bildnis eines Gottes darin, so daß die Soldaten erstaunt nach ihm zu suchen begannen. Haremhab sprach:
»Sein Gott ist rund und gleicht der Sonnenscheibe: sucht ihn also am Himmel, falls eure Augen es ertragen. Er segnet euch mit den Händen, obwohl ich befürchte, daß seine Finger euch heute auf dem Marsch im Rücken wie glühende Nadeln stechen werden.«
Die Soldaten aber murrten und klagten, der Gott des Pharao sei zu weit von ihnen entfernt. Sie wollten einen Gott haben, vor dem man sich zu Boden werfen und den man, falls man sich getraute, mit den Händen berühren konnte. Doch schwiegen sie, als der Priester hervortrat. Er war ein schlanker Jüngling mit klaren, lebhaften Augen, dessen Haupt nicht rasiert war und der ein weißes Achseltuch trug. Er brachte ein Opfer aus Frühlingsblumen, Öl und Wein auf dem Altar dar, das die Soldaten zu lautem Gelächter reizte. Er sang auch eine Hymne an Aton, von der behauptet wurde, der Pharao habe sie selbst verfaßt. Sie war sehr lang und einförmig, und die Soldaten lauschten mit offenem Mund und begriffen nichts davon. Er sang:
Schön hebst du dich am Horizont,
lebendiger Aton, Ursprung des Seins.
Steigst du am östlichen Himmel empor,
so füllst du die Länder mit Herrlichkeit,
denn schön bist du, groß und leuchtend, hoch über der Erde.
Deine Strahlen umfassen alle Länder, die du geschaffen
und mit den Strahlen deiner Liebe verbindest.
Du weilst in der Ferne, doch deine Strahlen fließen zur Erde,
erhaben bist du, doch deine Sohlen berühren den Staub.
Alsdann schilderte er die Finsternis der Nacht und die Löwen, die im Dunkel ihre Höhlen verlassen, und die Schlangen, die aus ihren Löchern kriechen, und viele Zuhörer wurden von Angst ergriffen. Er schilderte das klare Tageslicht und sang, daß die Vögel morgens ihre Schwingen zur Anbetung Atons heben. Auch versicherte er, dieser neue Gott befruchte den Samen des Mannes und verleihe der Frucht im Leib der Mutter Leben. Wenn man dem Priester zuhörte, konnte man glauben, daß es wirklich kein so geringes Ding in der Welt gäbe, womit dieser Aton sich nicht irgendwie beschäftigte, denn nach seiner Behauptung vermochte nicht einmal ein Küken ohne Atons Hilfe eine Schale aufzupicken und zu piepsen.
Weiter versicherte er, Aton habe sowohl den himmlischen als auch den irdischen Nil geschaffen, worauf die Offiziere knurrten: dann habe er sich in Ammons Angelegenheiten eingemischt. Die Jahreszeiten hatte er geschaffen, und er lebte in Millionen Gestalten in den Städten, den Dörfern und Siedlungen, auf dem Strom und den Landstraßen. Und der Priester schloß:
Du allein thronst in meinem Herzen,
und niemand kennt dich,
außer deinem Sohne, dem König.
Ihn weihst du in deine Pläne ein
und stärkst ihn mit deiner Kraft.
Die Welt ruht in deiner Hand,
so wie du sie geschaffen.
Die Menschen leben von deinem Lichte,
birgst du dein Antlitz vor ihnen, so müssen sie sterben;
denn du bist das Leben,
und durch dich lebt der Mensch.
Aller Augen schauen deine Herrlichkeit
bis zu deinem Untergehen,
und alle Arbeit ruht,
sobald du im Westen versinkst.
Seit du die Welt geschaffen,
hast du sie für das Kommen deines Sohnes bereitet,
für ihn, der deinem Schoß entsprungen,
für den König, der von der Wahrheit lebt,
für den Herrn der beiden Reiche, den Sohn des Rê,
für ihn, der von der Wahrheit lebt.
Für den Herrn der Kronen schufst du die Welt,
und für seine große, königliche Gemahlin,
für seine Geliebte, die Herrscherin beider Reiche,
für Nofretete, die leben und blühen möge von Ewigkeit zu
Ewigkeit.
Die Soldaten lauschten und bohrten mit den Zehen im Sand. Als der Gesang schließlich zu Ende war, stießen sie erleichtert
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