Sinuhe, Sohn der Sykomore 1
Arm um die Schultern. Mit einer raschen Bewegung wurde die freundschaftliche Geste ins Gegenteil verkehrt, denn starke Hände hielten plötzlich seine Arme. Schläge prasselten auf ihn nieder, nicht zaghaft wie in den Tagen zuvor. Diese sollten verletzen. Verzweifelt versuchte Sesostris, sich aus dem harten Griff zu winden. Er trat um sich, traf auch einen der Angreifer mit seinem Kopf, doch nach einem Schlag in sein Gesicht verließen ihn die Sinne.
* * *
Kurz vor Sonnenuntergang hatte Sinuhe den Hain erreicht. Er war den ganzen Weg vom Haus des Lebens hierher gerannt, denn er freute sich so auf das Wiedersehen, war begierig, alles zu erfahren, was Sesostris erlebt hatte. Außer Atem ließ er sich ins warme Gras fallen. Während die Schatten immer länger wurden, hielt er ungeduldig Ausschau nach seinem Freund. Um sich die Zeit zu vertreiben, kritzelte er einige Hieroglyphen in den Sand und wischte sie gleich darauf ärgerlich wieder weg. Schreiber! Wie gern hätte er zusammen mit Sesostris das glorreiche Kriegerleben geführt. Er seufzte ergeben.
Der glutrote Sonnenball war vom Horizont bereits verschluckt worden. In dunkelblauen Schwaden hielt die Nacht Einzug, und immer noch kein Anzeichen für das Nahen des Freundes.
»Ich gehe ihm einfach entgegen«, sagte sich Sinuhe und machte sich auf den Weg zum Haus des Krieges.
Unterwegs begannen hässliche Gedanken sich hinter seiner Stirn breitzumachen. Was, wenn Sesostris die Verabredung einfach vergessen hatte? War er, Sinuhe, ihm vielleicht zu langweilig angesichts all der neuen Kameraden, mit denen er nun seine Zeit verbrachte?
Die Füße fanden in der zunehmenden Dunkelheit den bekannten Weg, und endlich lag, von Fackeln erleuchtet, das Tor zum Haus des Krieges vor ihm. In diesem Moment kam eine johlende Gruppe junger Männer aus dem Tor. Neidisch blickte Sinuhe zu ihnen hinüber. Sie torkelten, schwankten und schleiften einen Kameraden mit sich.
War das nicht …?
Aber ja, es war Sesostris! Total betrunken offenbar, er bemerkte seinen wartenden Freund nicht einmal. Zutiefst verletzt blickte Sinuhe der Gruppe hinterher und folgte ihnen schließlich, bis sie eine Spelunke am Hafen betraten. Sesostris hatte wohl neue Freunde und interessantere Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden. Er hatte ihn scheinbar schon nach so kurzer Zeit völlig vergessen.
Traurig machte Sinuhe sich auf den Heimweg. An den nächsten freien Tagen würde er bestimmt nicht allein am Hain sitzen und warten. Sesostris würde ihn schon zu finden wissen, wenn er es wollte.
Insgeheim hoffte er, den Freund morgen zerknirscht vor dem elterlichen Haus zu sehen und malte sich bereits aus, was er ihm sagen würde. Am Ende würde er ihm natürlich verzeihen.
* * *
Sesostris erwachte mit stechenden Kopfschmerzen. Die Sonne brannte ihm mitten ins Gesicht, die Zunge klebte ihm am Gaumen vor Durst. Jemand trat ihn in die Seite.
»He, du Tagedieb, mach Platz für ehrliche Arbeiter!«
Stöhnend rollte Sesostris sich auf die Seite und öffnete die Augen. Das tat weh! Wie durch roten Nebel erkannte er mit dem rechten Auge, dass er sich am Hafen befand. Das linke Auge vermochte er nicht zu öffnen. Der Schmutz unter seinen Händen verriet ihm, dass er im Rinnstein lag. Angewidert stemmte er sich hoch und tastete sich vorsichtig ab. Sie hatten ihm alles genommen, das Bündel, die Sandalen, selbst seinen Schurz und die Perücke. Er war nackt und roch nach Erbrochenem und Wein.
Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Vorsichtig setzte er sich auf und erhob sich schließlich taumelnd. Seine Füße hatten ihn bereits einige Schritte in Richtung Palast geführt, doch dann machte er stöhnend kehrt. So wollte er seiner Mutter lieber nicht unter die Augen treten. Sesostris ging die kurze Strecke zum glitzernden Band des Flusses hinab. Vorsichtig ließ er sich ins Wasser des Nils gleiten und biss die Zähne zusammen, als der Schmerz zahlreicher Schürfwunden ihn durchzuckte. Dann tauchte er ganz unter. Das kühle Nass machte sein Denken wieder etwas klarer.
Die Palastwache döste in der Mittagssonne, als der nackte junge Mann das doppelflügelige Portal erreicht hatte. Was für ein Glück! Unbemerkt schlüpfte Sesostris ins Innere. Er humpelte durch die Gänge, irritiert beobachtet von Höflingen und Beamten.
Bloß nicht stehen bleiben!
Endlich erreichte er die Privatgemächer des Pharaos. Eine Dienerin kreischte entsetzt auf, als sie ihn erblickte, und ließ ein kupfernes Tablett fallen. Das
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