Sinuhe, Sohn der Sykomore 1
Scheppern hallte in Sesostris‘ Schädel wider.
Nefertatenen eilte herbei. »Wer bist du? Ich rufe die Wachen«, rief sie mit Panik in der Stimme.
»Mutter, ich bin’s doch«, krächzte Sesostris und sank auf die Fliesen. Wie durch Nebel nahm er wahr, dass er aufgehoben und in ein weiches Bett gelegt wurde. Immer wieder hörte er gemurmelte Stimmen und dann – welche Labsal – fühlte er kühles Wasser, das seine Lippen benetzte. Schmerz und wohltuendes Vergessen wechselten einander ab.
Als sein Geist sich endlich aus der Umklammerung der Dunkelheit lösen konnte, stellte Sesostris überrascht fest, dass er Hunger hatte und das Leben, entgegen früherer Annahmen, doch lebenswert sei. Gerade wollte er die Augen öffnen, da kamen ihm die Geschehnisse wieder zu Bewusstsein.
Was sollte er den Eltern erzählen? Seinen ersten Gedanken, die Wahrheit zu sagen, verwarf er schnell wieder. Sein Vater würde es sich nicht nehmen lassen, die Schuldigen finden zu wollen. Er, Sesostris, würde jeden Respekt verlieren, den er sich im Haus des Krieges aufgebaut haben mochte. Muttersöhnchen würden sie ihn nennen, da könnte er gleich aufgeben. Er musste ihnen beweisen, dass er seine Herkunft nicht ausspielte. Wie sollte er aber seinen Zustand erklären?
Da fiel ihm eine Lösung ein, die zwar den Vater enttäuschen und der Mutter Kummer bereiten, es ihm aber ermöglichen würde, hoch erhobenen Hauptes in die Kaserne zurückzukehren. Vorsichtig schlug er die Augen auf.
* * *
Es vergingen etliche Wochen, ehe Sesostris den Weg zum Sykomorenhain einschlagen konnte. Er war nicht überrascht, dass er vergebens auf Sinuhe wartete. Was musste Sinuhe von ihm denken! Entschlossen machte er sich auf den Weg zum Haus des Cheti. Dort fand er seinen Freund mit einigen jungen Schreibern im Garten des elterlichen Hauses.
Sinuhe erblickte ihn und presste die Lippen zusammen. »Was willst du denn hier, Sesostris?«
Aufgeregt tuschelten die Schreiberlehrlinge miteinander: »Das ist der Kronprinz! Kennt Sinuhe den etwa?«
»Ich hoffte eigentlich, Sinuhe, den Sohn der Sykomore unter einer solchen anzutreffen«, versuchte Sesostris einen Scherz, der ihm selbst kläglich und gestelzt vorkam.
»Nun, wie du siehst, bin ich anderweitig beschäftigt«, antwortete Sinuhe würdevoll und wies auf die jungen Männer, die sich im Gras herumfläzten.
Einer von ihnen erhob sich rasch und klopfte sich den Schurz aus. »Wir wollten sowieso gerade gehen, stimmt’s Jungs?«
Unter zustimmendem Gemurmel trollten sie sich und ließen die beiden verlegenen Freunde allein zurück.
Sesostris streckte beide Arme aus und zog den unwilligen Sinuhe in eine Umarmung. »Dir scheint’s ja gut zu gehen«, bemerkte er gespielt munter. «Neue Freunde gefunden?«
»Oh ja, wir verstehen uns blendend, es ist richtig toll im Haus des Lebens«, log Sinuhe. »Und selbst – wie ist es dir ergangen. Ist es so aufregend, wie wir es uns immer vorgestellt hatten?« Wider Willen konnte Sinuhe sein Interesse nicht verbergen. Dann setzte er verbittert hinzu: »Ich habe dich neulich gesehen, wie du mit deinen Kameraden in ein Bierhaus am Hafen gezogen bist. Kein Wunder, dass es dich nicht mehr zu deinem alten Freund zieht. Mit deinen neuen erlebst du sicher die tollsten Dinge. Aber ich habe jetzt auch echte Freunde, die mich nicht sofort im Stich lassen.«
Scham wallte in Sesostris hoch, denn auch er erinnerte sich nur zu gut an diesen Abend. Eigentlich hatte er Sinuhe alles erzählen wollen, doch nun entschied er sich dagegen. Stattdessen blieb er bei der Geschichte, die er den Eltern und dem Ausbilder aufgetischt hatte. Er wusste selbst nicht, warum er nun prahlte: »Ach das … Soldaten sind eben richtige Männer, und die müssen auch mal ordentlich saufen gehen. Ich war so betrunken in dieser Nacht, dass ich morgens im Rinnstein aufgewacht bin. Stell dir vor, ich war splitternackt und grün und blau geschlagen. An mehr kann ich mich nicht erinnern.«
Selbst in seinen Ohren klang es erbärmlich, und er hasste sich dafür. Doch er fühlte sich von Sinuhe ungerechtfertigt zurückgewiesen und wollte es ihm irgendwie heimzahlen. Der zuckte unter den Worten des Freundes zusammen. Verlegen und verärgert schwiegen beide eine Weile und sahen sich nicht in die Augen.
»Ja dann. Ich habe jetzt viel zu tun, weißt du«, stammelte Sinuhe endlich. Er war zu verletzt, um Sesostris einfach so zu vergeben. Er hatte sich nicht einmal entschuldigt! »Wir sehen uns sicher dann und
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