Sinuhe, Sohn der Sykomore 1
gewesen. Umso weniger schmeckte es dem alten Adel, nun ihre Knie vor ihm als Pharao zu beugen.
Die neugeborene Tochter des Mentuhotep konnte zwar nicht selbst Pharao werden, das verbot die Maat, aber sie war Trägerin des göttlichen Blutes, und wer sie einmal ehelichte, hatte einen legitimen Anspruch auf die Doppelkrone. Seither versuchten viele Würdenträger, Einfluss auf die Beamten des Frauenhauses zu gewinnen. Amenemhets Spitzel hatten unzählige Geschenke und Botschaften abgefangen, und Durchsuchungen in vornehmen Häusern hatten so manchen ehrgeizigen Höfling zu Fall gebracht.
Einige der hohen Beamten hatte Amenemhet von Mentuhotep übernommen. Er arbeitete schon seit Langem gut mit ihnen zusammen und glaubte sich ihrer Unterstützung sicher. Es hatte seiner Beliebtheit aber nicht gerade genützt, dass er auch neue Gesichter bei Hofe eingeführt und wichtige Posten mit Beamten niedriger Herkunft besetzt hatte. Der Adel protestierte lautstark über die Veränderungen. Die Gaue Oberägyptens standen zwar treu zu Amenemhet, seit Osirisanch auf einen Außenposten tief im Süden verbannt worden war. Ptahhotep von Men-Nefer hingegen war dem Exil durch Flucht zuvorgekommen. Der König hatte den Mann seither vergeblich suchen lassen.
In Unterägypten gärte es seit Amenemhets Thronbesteigung unaufhörlich. Besonders die Ernennung neuer Gaufürsten, die weniger machthungrig waren als ihre Vorgänger, gestaltete sich ausgesprochen schwierig. Oft stellte sich der Neue im Amt als durchtriebener heraus als sein Vorgänger, oder aber der frischgebackene Fürst hatte kurz nach Amtsantritt einen ›bedauerlichen Unfall‹. Die ständigen Kämpfe gegen Schatten, die nicht zu fassen schienen, zermürbten den tatkräftigen Pharao, der sich oft nicht anders zu helfen wusste, als mit aller Härte um sich zu schlagen. Immer wieder flackerten im Delta Revolten auf, die vom Heer brutal erstickt werden mussten. Aber die Soldaten murrten bereits. Keiner von ihnen schlug gern die eigenen Landsleute. Und so hoffte Amenemhet, dass großartige Feldzüge gegen die Libu, das elende Kusch oder die Heqa-Chasut die Situation im Heer beruhigen würden.
* * *
Auch im Haus des Cheti strich an diesem Tag ein Rasiermesser die letzten Spuren der Kindheit fort. Stolze Eltern drückten den sich windenden Sohn mit leiser Wehmut an sich, denn so ist es seit alter Zeit stets gewesen, dass Kinder begierig in den neuen Lebensabschnitt stürmen, wo die Eltern längst wissen, dass nun nichts einfacher wird.
Sinuhe hatte oft am Esstisch davon gesprochen, wie sehr er sich auf die kommende Zeit freue, auf die Ausbildung im Haus des Krieges, auf gemeinsame Heldentaten mit Sesostris. Seine Eltern hatten sich bei diesen Reden stets skeptische Blicke zugeworfen, aber sie wollten ihrem Sohn die letzten Tage unbeschwerter Kindheit erhalten und hatten dazu geschwiegen.
Als nun Cheti umständlich die Perücke hervorholte, die Sinuhe in die Erwachsenenwelt begleiten würde, war es die Haartracht eines Schreibers. Sinuhe sagte zunächst nichts, aber seine Mundwinkel zitterten. Den Eltern entging nicht die Enttäuschung, die sich auf den noch runden Wangen ihres Sohnes abzeichnete, doch diese Entscheidung hatten sie nach reiflicher Überlegung ohne ihn getroffen. Cheti stülpte ihm die dunklen Locken über den kahlen Schädel, und Meret zupfte die Frisur zurecht.
Sinuhe wehrte die Finger seiner Mutter ab. Anklagend hob er den Blick zu seinem Vater.
»Mein Sohn, wir haben dich im Haus des Lebens des Amuntempels eingeschrieben, wo du ab morgen zum Schreiber ausgebildet werden wirst. Halt! Lass dir von mir, einem erfahrenen Mann sagen«, unterbrach Cheti den aufkeimenden Protest, »warum wir diese Laufbahn für die bessere für dich halten. Setz dich.« Er sah Tränen in Sinuhes braunen Augen schimmern, die Unterlippe bebte trotzig, doch der Junge schwieg, wie ihm geheißen. »Warum bist du also als Schreiber am besten dran?
Stell dir vor, du wärest Maurer. Bei jedem Wetter müsstest du fast nackt draußen schuften, die Arme schwer wie Blei und stets krank vom kalten Wind.
Wie erginge es dir als Weber? Da wärest du zwar den ganzen Tag in der Stube, aber deine Knie drückten in deinen Bauch, dass du dich fühltest wie eine Gebärende.« Cheti sah angesichts der plastischen Schilderung ein Grinsen um Sinuhes Mundwinkel zucken. Er fuhr fort: »Da du so oft auf dem Fluss bist, wärest du vielleicht gern Fischer? Dann solltest du dich aber mit Sobek gut
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