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Sirenenlied

Sirenenlied

Titel: Sirenenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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erscholl, dann herrschte Ruhe. Selbst der Sturm hatte sich gelegt.

9
    Die Ruhe vor dem Sturm
    Eileen konnte nicht sagen, was sie an diesem Morgen in solch eine Unruhe versetzte, dass ihr Puls wie ein Lauffeuer pochte. Vermutlich war sie einfach mit den Nerven am Ende. Die Erlebnisse in Joshs Black House erschienen ihr wie ein böser Traum. Nichtsdestotrotz war sie dort einer Macht ausgesetzt gewesen, die auf nichts anderem als Magie gründete, dessen war sie sich sicher. Dabei stieß sie sich weniger an der Erkenntnis, dass es so etwas wie Sirenen in Wirklichkeit gab, als vielmehr an der Tatsache, dass sie Hals über Kopf davongelaufen war und sich vor Angst unter die Bettdecke verkrochen hatte. Und das, obwohl sie Josh vollmundig versprochen hatte, sein Anker zu sein.
    Leise vor sich hin murmelnd, tigerte Eileen in dem beengten Wohnzimmer mit seinem in die Jahre gekommenen Nippes umher. Ihre Großmutter saß im Lehnsessel und rollte Wolle auf. Sobald das Knäuel fertig war, würde sie ihn wieder aufdröseln und erneut aufrollen. Für gewöhnlich störte Eileen sich nicht an diesem Zeitvertreib,
aber heute zerrte das kratzende Geräusch der Wolle an ihrem Trommelfell. Behutsam legte sie ihre Hände auf die ihrer Großmutter und sah sie bittend an.
    »Ich weiß, es ist keine gescheite Beschäftigung«, gestand ihre Großmutter mit brüchiger Stimme ein.
    »Nein, nein, das ist es nicht«, beeilte Eileen sich zu versichern. Schon tat es ihr leid, dass sie sich nicht beherrscht hatte. »Es ist nur... ich weiß nicht, was es ist.«
    »Wenn du dir Gedanken wegen dieses Galbraith-Jungen machst, dann kann ich dir nur einen Rat geben: Nimm dir Wolle und setz dich hin, bis die Frühjahrsstürme vorbei sind. Entweder ist er dann noch auf der Insel oder nicht. Aber selbst wenn er dann noch da ist, solltest du einen weiten Bogen um ihn machen. Was dem Meer gehört, das holt es sich über kurz oder lang. Und du willst doch nicht, dass es dich mit rausspült, oder?«
    »Wie kommst du darauf, dass Josh dem Meer gehört? So ein Unsinn, er fährt ja nicht einmal zum Fischen. Alles, was er tut, hat mit der Insel zu tun.«
    Obwohl Eileen mit keiner Menschenseele über die Ereignisse in Joshs Black House gesprochen hatte, schien zumindest ihre Großmutter einen Verdacht zu haben. Es brannte Eileen auf der Zunge, die alte Frau, die ihr gesamtes Leben auf dieser Insel verbracht hatte, zu fragen, was sie über Sirenen wusste. Aber sie fürchtete sich zu sehr vor der Antwort.
    Allerdings sah es ganz danach aus, dass ihre Großmutter keiner Aufforderung bedurfte. »Wenn der Junge nicht dem Meer gehört, warum zeigt er dann Spuren, die das Sirenenlied hinterlässt? Er kann sich waschen, so viel er will. Das Salz wird er nicht mehr los, solange die Frühjahrsstürme andauern.« Die Unterlippe der alten Frau bebte. Die
Unterhaltung kostete sie unleugbar mehr Kraft, als ihr zur Verfügung stand. Anklagend deutete sie mit ihrem verkrümmten Zeigefinger auf Eileen, zwischen deren Schulterblättern Schweiß ausbrach. »Außerdem habe ich dich gestern gesehen, als du dich auf dein Zimmer geschleppt hast. Ich weiß genau, wann sich ein Mädchen die Finger an jemandem verbrannt hat, den eine Sirene für sich beansprucht. Bleibt nur zu hoffen, dass du die Warnung auch begriffen hast.«
    »Woher weißt du davon?«
    Ihre Großmutter rutschte im Sessel umher, als hätten sich die weichen Polster plötzlich in Stein verwandelt. »Das weiß doch jede Frau, die auf Cragganmore Island geboren wurde. Es wird uns in die Wiege gelegt. Unser Instinkt verrät uns, wenn einer unserer Männer ans Meer verlorengeht. So ist es eben.«
    Entrüstet stemmte Eileen die Hände in die Hüften. »Also mein Instinkt verrät mir das überhaupt nicht, und ich bin hier geboren. Wie kann es außerdem möglich sein, dass die Frauen das einfach hinnehmen?«
    »Weil es schon immer so war«, entgegnete ihre Großmutter schlicht. Dabei bedachte sie Eileen mit einem Ausdruck, als hätte sie ein Naturgesetz wie etwa die Schwerkraft infrage gestellt. »Es hat immer Männer gegeben, die dem Sirenengesang verfallen sind. Ein oder zwei Männer jeder Generation gehen eben verloren. Seefahrt und Whisky kosten uns wesentlich mehr, wie du zugeben musst.«
    Eileen wollte gerade zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, da wurde ihr der Grund für ihre Unruhe bewusst. »Der Wind hat sich gelegt.«
    »Bist du dir sicher?«
    Ihre Großmutter, deren Gehör nicht mehr das Beste war,
verrenkte sich fast

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