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Sirenenlied

Sirenenlied

Titel: Sirenenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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richtig gefährlich wird es, wenn sie dahinterkommen, dass man an eine andere denkt.
Selbst wenn man diese andere am liebsten auf das trockene Land zerren würde, um ihr ein Ende zu bereiten.«
    Mittlerweile hatten Aufregung und Whisky Josh kräftig eingeheizt. Ein wenig ruppig streifte er den Wollpulli ab und kratzte sich ausgiebig an der Brust, die von einem Prickeln überzogen war. Finebird dagegen hatte immer noch seine überdimensionale Steppjacke an und nicht einmal den Schal abgewickelt. Verstohlen lüftete Josh sein T-Shirt.
    Der alte Mann saß eine Weile in Gedanken versunken da, dann sagte er: »Verstehe ich das richtig? Dein Schlachtplan sah vor, dich an der Sirene zu rächen, sobald sie wieder auftaucht? Oder, wenn das nicht klappt, sich wenigstens von ihr verführen zu lassen? Ich bin, ehrlich gesagt, etwas enttäuscht von dir, Josh. Du bist doch ansonsten so ein schlauer Junge.«
    »Ich habe keinen Schlachtplan, weil ich unentwegt zwischen Rachegelüsten und Sehnsucht schwanke«, widersprach Josh. »Es ist übrigens alles andere als leicht, klar zu denken, wenn Magie im Spiel ist. Die lässt nämlich nicht gerade viel Raum fürs Pläneschmieden. Meine Gedanken brauchen sich nur in ihre Richtung vorzuwagen und sofort sehe ich eine geschmeidige Haarflut, die der Wind auftreibt. Und das ist noch eines von den ganz harmlosen Bildern, verstehen Sie?«
    Finebirds faltiger Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Du hast Recht, meinen Hochmut sollte ich mir wohl besser verkneifen. Schließlich habe ich keine Ahnung, wie es ist, in den Bann einer Sirene zu geraten. Ich spüre den Fluss ihrer Magie und erahne sie, wenn ich das Meer betrachte und es in meinen Bildern verewige. Von ihrem Gesang habe ich bislang nicht mehr als ein fernes Echo vernommen - wie die meisten anderen Männer auch auf
Cragganmore. Du glaubst gar nicht, was ich dafür geben würde, an deiner Stelle zu sein.«
    »Das ist ein Scherz, oder?« Misstrauen baute sich in Josh auf. »Sie haben doch den Part über meinen verschollenen Vater mitbekommen, oder wurde es für Sie erst interessant, als ich von der Sirene erzählte?«
    Anstatt beleidigt zu sein, lachte Finebird trocken. »So ist das also: Du kannst die Sirenen nicht aus vollem Herzen hassen, aber von mir erwartest du, dass ihr Zauber an mir abprallt. Ich bin vielleicht schon zweiundachtzig Jahre alt, aber ich kann mich bestens daran erinnern, wie es sich anfühlt, wenn die Leidenschaft einen wie eine Flutwelle überrollt. Daraus speist sich die Magie, mit der die Sirene dich an sich bindet. Die Magie, die den Willen jedes Mannes bricht.«
    »Schön, dann bin ich also dem Untergang geweiht, denn dieses Jahr kehrt sie zurück, um zu mir zu singen. Das hat sie mir in den letzten Tagen mehr als deutlich gemacht. Und sie wird dafür sorgen, dass ich mich ihr nicht entziehen kann. Wie auch? Ich habe es ja nicht einmal auf dem Festland ausgehalten, als sie lediglich an Cragganmore vorbeigeschwommen ist, ohne nach mir zu rufen.« Josh schnaufte durch die Nase. »Na ja, wenigstens klingt es so, als würde ich vor meinem Tod noch einmal ordentlich auf meine Kosten kommen. Das ist doch was!«
    Josh stand mit so viel Schwung auf, dass sein Stuhl hintenüberkippte. Leise vor sich hin schimpfend, schnappte er sich seinen Pulli, der auf den Boden gefallen war, und sah sich dann nach seiner Jacke um. Das hier lief überhaupt nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Er wollte nur noch weg, ungeachtet der Tatsache, dass die Rückfahrt vermutlich einem Selbstmordkommando gleichkam.

    Als der alte Finebird sich ihm vor der Haustür in den Weg stellte, blieb er allerdings stehen, wenn auch in einer äußerst angriffslustigen Haltung.
    »Beruhige dich, Junge«, forderte Finebird ihn auf.
    »Ich bin verdammt ruhig dafür, dass Sie mich bloß ausgehorcht haben, um Ihre Sirenenfantasien weiter aufzubauschen. Ihre nächsten Bilder werden ganz bestimmt der Hit, da Sie jetzt doch noch besser über die unwiderstehlichen Wassergeister Bescheid wissen. Ein Tipp: Versuchen Sie sich doch einmal an einem Bild, das einen Ertrinkenden zeigt. Vielleicht beneiden Sie mich dann nicht länger um meine Anziehungskraft auf Sirenen.«
    In Finebirds hellblauen Augen, denen sogar das Alter nichts von ihrer Ausdruckskraft hatte rauben können, funkelte es gefährlich auf. Mit einem Knall schlug er den Schalter für die Oberbeleuchtung des Wohnraums herunter, dann packte er Josh unerwartet kräftig am Arm und zog ihn zu seinen nun

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