Sirup: Roman (German Edition)
»Empörend«, murmelt er. »Einfach empörend.«
»Also gut. Dieser Preis markiert natürlich die Obergrenze «, sage ich. »Es handelt sich dabei also um den Höchstpreis, den wir von Ihnen fordern können, wenn Sie Cindy unter Vertrag nehmen möchten. Wenn sie soviel nicht wert ist, müssen wir uns natürlich mit weniger begnügen. Ich meine, reden wir doch mal ernsthaft. Im Laufe des nächsten Jahres könnte Cindy wie eine Rakete abgehen. Wenn sie das nächste Supermodel wird, sind die sechs Millionen für einen Dreijahresvertrag das Geschäft des Jahrhunderts.« Ich nehme einen Schluck von meinem Wasser.
Christian sagt: »Und diese Option… wieviel?«
»Ehrlich gesagt, nicht viel«, sage ich. »Sagen wir fünfzigtausend. Der Betrag selbst interessiert mich nicht besonders.« Das stimmt sogar. »Worauf es mir ankommt: Ich möchte in den nächsten Tagen ein paar Medienleute anrufen und sagen können: ›Cindy hat soeben mit Christian Dior einen Vertrag unterzeichnet, der potentiell sechs Millionen Dollar wert ist.‹«
»Sie möchten uns also benutzen, um für sich PR zu machen«, sagt Christian ein bißchen vergrätzt. »Sich mit dem Namen Christian Dior anderswo ein Entree verschaffen?«
»Genau das«, sage ich. »Ich will Ihnen das gar nicht verhehlen. Aber diese PR kommt Ihnen ebenfalls zugute. Denn wenn Cindy auf diesem Weg Karriere macht, haben Sie ja die Option, sie unter Vertrag zu nehmen.«
Christian sieht mich lange an, wendet sich dann ab und schaut aus dem Fenster. Offenbar zieht er meinen Vorschlag ernsthaft in Betracht, deshalb sage ich: »Wenn Sie mich bitte entschuldigen, ich muß mal kurz wo hin.«
Cindy sieht mich erschrocken an, doch ich lächle ihr aufmunternd zu. Es ist wichtig, daß Christian sich in diesem Augenblick nicht gedrängt fühlt, und ein paar Minuten allein mit Cindy werden unsere Chancen kaum verschlechtern.
Ich stehe auf, mache mich auf den Weg und fühle mich eigentlich ganz prächtig. Ich glaube, daß ich Christian soweit gebracht habe, mir bei meinem Aufstieg auf den Olymp der Modefotografie behilflich zu sein. Ich glaube außerdem, daß Cindy dank unserer Vereinbarung eine Blitzkarriere hinlegen wird und daß ich schon in sechs Monaten einen Vertrag mit Dior etwa in der genannten Höhe von sechs Millionen Dollar werde abschließen können.
Die Toilette sieht aus irgendeinem Grund fast aus wie ein Ausgang, und als ich meine Blase entleere, denke ich: Heute ist ein besonderer Abend.
Als ich fertig bin, wasche ich mir die Hände und renne beim Rausgehen beinahe 6 über den Haufen.
begrüßung
Ich stehe wie vom Donner gerührt sekundenlang da und starre sie an. Starke unsichtbare Männer ergreifen meine Arme und Beine, und irgendwer schiebt mir einen stämmigen Arm durch die Kehle und umklammert mein Herz.
Sie ist geschäftsmäßig gekleidet, will mir scheinen, und ihr Haar ist noch derselbe überirdisch schöne Wasserfall wie vor sechs Monaten. Sie trägt wahrscheinlich schwarze hochhackige Schuhe, und vermutlich hängt an ihrer Schulter eine Art Handtasche. Doch das alles weiß ich nicht so genau, weil ich nämlich meine Augen nicht von ihrem Gesicht lösen kann.
»Scat«, sagt sie, und ich erkenne zum erstenmal, wie süß mein Name klingen kann.
scat und 6 führen eine unterhaltung
»6«, sage ich. Das verschafft mir erst mal etwas Luft, denn der winzige Teil meines Gehirns, der noch funktioniert, ist schon drauf und dran, Heirate mich zu faseln. Keine besonders originelle Gesprächseröffnung. Wahrscheinlich ein bißchen zu persönlich. »Du siehst toll aus. Wie geht’s dir?«
»Sehr gut«, sagt 6 vorsichtig. Sie hält kurz inne und fügt dann hinzu: »Du siehst auch gut aus.«
»Danke«, sage ich, und um ihr zu zeigen, wie völlig belanglos diese Bemerkung für mich ist, grinse ich sie wie ein Volldepp an. 6 schaut zur Seite. »Und was hast du so getrieben? Seit…?«
»Consulting«, sagt sie und schaut noch immer zur Seite.
»Hey, das ist toll. Wirklich super.«
Ein leichtes Schulterzucken, dann verlagert 6 ihr Gewicht auf das andere Bein. Ich erwarte schon, daß sie sagt: Also dann – war schön, dich mal wiederzusehen, deshalb frage ich in völliger Auflösung: »Geht’s dir gut?«
Mein Gott, was für eine idiotische Frage. »Ja«, sagt 6.
»Oh, das freut mich.«
»Also dann«, sagt sie, »war schön, dich mal wiederzusehen, Scat.«
Ihre Augen ruhen noch eine Sekunde auf mir, dann dreht sie sich um und geht davon.
Ich bin verzweifelt. Ich
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